Die Räuber wüten durch den Neonwald, scheinen einem apokalyptischen Szenario entsprungen, nicht mehr der romantischen Vorstellung eines Sturm und Drang-Zeitalters. Auf der Bochumer Bühne ist nur noch Sturm und der verzweifelte Drang, verbotene Dinge zu tun. Regisseur Jan Klata schafft in Friedrich Schillers Räubern neue Postpunk-Helden, die selbst nicht wissen, was sie eigentlich wollen, Hauptsache, es ist schön böse. Dabei scheint ihre Choreografie eher Performances des österreichischen Aktionskünstlers Wolfgang Flatz entsprungen zu sein, der seinen Rezipienten auch schon mal zumutete, ihm bei einem Selbstmordversuch zuzuschauen. Auch Klatas Bösewichter werfen ihre mit Tattoos und Piercings übersäten Körper gegen Stahlplatten, onanieren frech vor geilen Nonnenvideos. Schillers Konflikte, die er behandelte, geraten ziemlich in den Hintergrund, die Inszenierung könnte auch Vorlage für einen Musikvideoclip sein. Das ist kein Manko, das ist sehr unterhaltend und eine visuelle Augenweide. Karl Moor, der eigentlich nach seinen Ausschweifungen nach Hause will, wird widerwillig Anführer der Psychopathen. Das nimmt die Regie ernst, Felix Rech geht als Karl im lautstarken Rudel unter.
Stiller, wenn auch nicht weniger artifiziell sind die Szenen des leidenden Vaters (ein großartiger Andreas Grothgar) und des bösen Bruders Franz (ein perfekt fieser Florian Lange), ein dicklicher süffisanter Antiheld, der seinem Vater, der anfangs noch mit vielen Fäden mit seinen Lieblingssohn Karl verbunden ist, konsequent die Flügel aus Pfeilen stutzt, um an das Erbe und Amalia, die Geliebte seines Bruder, zu kommen. Hier kommt bei Klata dann doch das Schillersche Pathos zum Einsatz. Der Vater, durch Franz und den wilden Hermann getäuscht, bricht wie tot zusammen und wird erst einmal in einem Sarkophag entsorgt, dem Bruder ein böser Brief geschrieben und per Video im Geiste alle Räuber egogeshootet.
Karl, der sich eine Versöhnung erhofft hatte, ist daraufhin ziemlich verzweifelt. Die Gewaltspirale der Bande dreht sich weiter, der widerliche, aus bloßem Vergnügen mordende und schändende Moritz Spiegelberg treibt den Grafensohn immer tiefer in den Teufelskreis von Unrecht und Gewalt, bis es tatsächlich keinen Rückweg mehr ins bürgerliche Leben gibt. Aber das wissen wir ja.
„Die Räuber“ I Sa 7.4., 19.30 Uhr I Schauspielhaus Bochum I 0234 33 33 55 55
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