trailer: Herr Rietveld, das Stück will der Fridays For Future-Generation den Holocaust erklären – ist das richtig?
Vincent Rietveld: Das Wort „Erklären“ würden wir nicht benutzen. Aber wir versuchen, die Erzählung darüber in Form von Kunst beständig zu machen. Das könnte dann sogar Instagram-fähig sein für die Jugendlichen, ja.
Sind das denn überhaupt die richtigen Ansprechpartner?
Ja, sicherlich. Ich glaube allerdings, dass sie nicht unter 15 Jahre alt sein sollten.
Wäre es nicht sinnvoller, den älteren Verschwörungsmythen-Vertretern entgegenzutreten?
Auf solche Haltungen lassen wir uns nicht ein. Da verschwenden wir unsere Energie nicht. Das ist sowieso nur eine kleine Gruppe. Wir wollen eine Generation ansprechen, die keine Betroffenen mehr kennt, die nichts damit zu tun gehabt hat und deren Großeltern auch schon nichts mit dem Krieg mehr zu tun hatten. In der Stückentwicklung „Bus nach Dachau“geht es also um eine intergenerationelle Amnesie, jede Generation muss mit der Historie ihre eigenen Erfahrungen machen und ihre eigene Perspektive darauf entwickeln, auf das Erinnern des Erinnerns. Das alles wird auf der Bühne verhandelt.
Was ist die Geschichte dahinter?
Als der Krieg aus war und Dachau befreit, hat sich jede Regierung bemüht, die Häftlinge zu repatriieren. Der Herzog von Luxemburg ist sogar selbst mit einem Bus nach Dachau gefahren, um die Luxemburger wieder zurück in ihr Land zu holen. Nur die holländische Regierung hat das nicht gemacht. Nach drei Wochen, am 17. Mai 1945, haben einige der Häftlinge, so um die 15 Männer, von den Amerikanern einen Bus bekommen und sind dann selbst nach Holland zurückgefahren. Das war eine Reise von drei Tagen und sie sind vielen befreundeten Menschen begegnet, darunter Engländern und Amerikanern. Als sie endlich an der holländischen Grenze angekommen sind, wurden sie dann direkt verhaftet, weil ihnen dort nicht getraut wurde, offiziell auch wegen Typhus und anderer Krankheiten. Ich mache das Stück zusammen mit Ward Weemhoff, alle zusammen sind wir die holländische Theatergruppe De Warme Winkel. Weemhoffs Vater hat in den 1990er Jahren – er ist also zweite Generation – ein Filmskript geschrieben, wofür er nie Fördergeld bekommen hat, ein Film, der nie gedreht worden ist. Da geht es um eine Gruppe, die viele Jahre nach ihrer Gefangenschaft wieder zurückgehen will nach Dachau, dafür einen Bus mietet und dieselbe Strecke zurückfährt, die sie einst gekommen ist. Und weil es so über Generationen hinausgeht, bringt jetzt Waard Weemhoff das Filmskript von seinem Vater ins Theater. Das ist ein Spiegelpalast für intergenerationelle Perspektiven auf den Krieg und Dachau.
Ist denn bekannt, warum das Drehbuch 1995 von der Filmförderung abgelehnt worden ist?
Wir haben das nicht offiziell untersucht. Aber wenn man das Drehbuch liest, kann man es sich eigentlich denken. In den 1990er Jahren hat die Gesellschaft die Thematik ziemlich anders betrachtet, das war auf jeden Fall in Holland so, aber ich glaube, dass es auch hier ähnlich war. Das war wohl ein Aspekt. Andererseits war das Filmskript im Grunde gar kein Filmskript – Weemhoffs Vater hat alles aufgeschrieben, was er zu dem Thema sagen wollte, im Prinzip war das mehr ein Buch als ein Drehbuch und beides zusammengenommen ergab dann wohl die Ablehnung.
Wie kommt dann das Drehbuch jetzt als Theatertext auf die Bühne?
Wir entwickeln das zusammen mit den Schauspielern vom Ensemble des Schauspielhauses Bochum und wir improvisieren sehr viel. Es wurde eh ein riesiger Haufen über die Erinnerungskultur geschrieben, und darüber, wie das in Filmen ästhetisiert wird – das alles ist natürlich Inspiration für uns. Wir stellen die drei Generationen auf die Bühne, die in anderen Realitäten agieren. Dann haben wir einige Stellen aus dem Filmskript des Vaters von Ward als Flashbacks, da gibt es dann die Filmcrew, die die Szenen dreht, und wir haben das Theater in der Gegenwart von 2022.
Ist das denn das richtige Theaterstück für die Adventszeit?
Ich glaube, wir spielen im Wesentlichen vor der Adventszeit. Ich glaube aber auch, dass es ein kontemplatives Thema ist, das in dieser Zeit schon gezeigt werden kann. Deshalb freuen wir uns auch schon auf das Bochumer Publikum.
Bus nach Dachau | 5. (P), 12., 26., 27.11. | Schauspielhaus Bochum (Kammerspiele) | 0234 3333 5555
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