„Form follows function“, unter diesem den Designern wohlbekannten Motto zelebriert Christina Paulhofer auf den Brettern des Bochumer Schauspielhauses „ihren“ Liliom. Konkret heißt das: Es gibt Autoscooter, eine HipHop-Truppe und eine mächtig laute Soundspur. „Kommen Sie! Fahren Sie! Jedes Ticket nur ein paar Euro!“ schreit Frau Muskat, Besitzerin des Ringelspiels, und die originalen Elektrokarren vom Rummelplatz rattern auf einer Folie tatsächlich los. Autor Franz Molnár hätte seine Freude gehabt, denn zu seiner Zeit, vor hundert Jahren, gab es nur Pferdebahn und Kettenkarussell. Doch trotz des Alters des Stücks, sind die Charaktere dieser empathischen Menschenversuchsanordnung bis heute auf jeder Kirmes zu finden. Die Fahrgeschäfte wechseln, Liliom bleibt.
Nach drei Jahren Auszeit vom Theater sorgte die Arbeit der in Bochum einst gefeierten Paulhofer für besondere Aufmerksamkeit. Viele erwarteten einen Paukenschlag, doch die Regisseurin inszeniert wie zu Leander-Haußmann-Zeiten und das ist erst einmal kein schlechtes Zeichen. Als „running gag“ hat sie die Streetart-Akrobatentruppe Urbanix mit ins Stück eingebaut, deren Performance auf einem riesigen Trampolin im Hintergrund sich im Laufe des Abend zwar etwas abnutzt, aber in stillen Szenen, wenn die Protagonisten sich im Liebeswahn verirren, wie ein leises Echo des Rummelgetöses funktioniert.
Die kecke Julie, verkörpert von Kristina Peters, weiß scheinbar, worauf sie sich einlässt, als Liliom sie mit Bier und Zigaretten einwickelt. Die von Florian Lange gespielte Hauptfigur hätte zwar ein wenig mehr Nachdenklichkeit nötig gehabt, trifft aber durchaus den zeitlosen Typus des verwegenen Raupenbegleiters. Julie und Liliom verbringen ihre erste gemeinsame Nacht standesgemäß im Autoscooter. Dass dazu ausgerechnet „Hotel California“ von den Eagles zu hören ist, grenzt schon an Boshaftigkeit. Besser trifft es da Lana del Reys „Born to die“: “Sometimes love is not enough and the road gets tough”, denn die Liaison hat keine Zukunft. Liliom ist unfähig zu zarten Gefühlen und schlägt Julie, die den Schmerz in ihrer Liebe allerdings nicht an sich heranlässt. Sie erträgt Lilioms Betrügereien, lässt aber auch selbst zu, dass sich ihr jemand anders nähert: Der reiche Linzmann (Daniel Stock).
Als wird sie schwanger wird, gerät das Lebens-Konzept von Liliom kurz aus den Fugen. Doch schnell ist er wieder auf seiner Spur. Mit Freund Ficsur (Felix Rech) aus der Ganovenbranche wird der entscheidende Coup für die Auswanderung ins Land der Täume, Amerika, geplant. Die beiden wollen Linzmann überfallen, aber der Überfall geht schief, denn Linzmann kann sich erfolgreich zur Wehr setzten, was von Paulhofer lustvoll im Stile Hollywoods mit Knarre im Mund und Kung-Fu-Einlagen inszeniert wird. Da Liliom nicht ins Gefängnis will, ersticht er sich mit einem Messer. Das blutige Ende eines Schreihalses.
Doch Liliom bekommt eine zweite Chance im Himmel. Und was für eine! – Wie vor Äonen arbeitet die Bochumer Bühnenmechanik. Zeitlupenartig decken die Scheinwerfer vom Schnürboden den Toten zu, während dahinter der Bühnenboden in eine extreme Schräglage fährt. Leicht ist es nicht in den Himmel zu kommen, denn es ist arg rutschig. Liliom wehrt sich gegen sein Schicksal und diskutiert mit Gott. Er will keine Erlösung. Also geht er für sechszehn Jahre ins Fegefeuer. Danach, zurück auf Erden, soll er sich beweisen. Aber Liliom ist eben Liliom. Als er bei seiner zweiten Chance seine hübsche, von ihm geliebte Tochter Luise (Wirbelwind Mascha Schneider) trifft, schlägt er auch sie. Sie spürt den Schmerz zwar ebenso wenig wie ihre Mutter viele Jahre zuvor, doch durch die Tat verspielt Liliom seine Chance zur Auferstehung. Sein Schicksal wird am Ende von blinkenden Autoscootern diskutiert. Viele Zuschauer dürften ihnen darin folgen.
„Liliom“ | Mo 6.5. 19.30 Uhr | Schauspielhaus Bochum | 0234 33 33 55 55
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