Bochum Total, Tag 4: Kaum angekommen an der trailer-Wortschatzbühne, streckt eine kleine Lady den Arm empor, in der Hand einen Becher. Sie will anstoßen aus der Ferne. Nicht nur die Kleinen, das ganze Publikum ist ob des Wetters gelöst und in Erwartung.
Die Bettina-von-Arnim-Preisträgerin Anja Liedtke kommt auf die Bühne und ist etwas irritiert. „Dann suchen wir mal den richtigen Text“, beginnt sie den Soundcheck. Sie liest aus ihrem neuen Buch ‚Blumengeschichten und Minenfelder’. „Du bist überhaupt noch nicht dran“, weist sie Thomas Aigner – ihren Mann – zurecht, der sie auf der Gitarre begleiten wird. 2011 war Anja Liedtke für Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Jerusalem – eine Reise zu Holocaust-Überlebenden. Daraus entstand später dieses Buch.
„Ich hatte nie Interesse, arabische Staaten zu bereisen“ beginnt sie. Doch, je länger die Autorin in Israel lebt, desto mehr möchte sie auch die Länder ringsherum kennen lernen. „Damit mir das Fremde nicht fremd bleibt“, sagt Liedtke. Auf ihrem Weg nach Jordanien bemerkt sie bereits beim Passieren der Grenze eine unterschiedliche Willkommenskultur. Da sie in Israel arbeitet, muss sie sich direkt einem Iris-Scan unterziehen. Meist angewandt, um mehrfache oder falsche Identitäten zu enttarnen. Ihr Mann, der mit ihr reist, bleibt hingegen von der Prozedur verschont.
Zeitweise wird die Lesung übertönt von der Bühne nebenan. Die Rock-Bässe dringen näher ans Ohr, als die Stimme von Liedtke hinter dem Mikrophon. Innerhalb der Geschichte geht es weiter nach Akaba. Dort decken sich die Protagonisten mit Oliven und Zitronenlimo ein. Die Spirituosengeschäfte sind zu ihrer Überraschung voll von Arabern. In den Hotels erhalten nur die Europäer die alkoholischen Getränke, während man den arabischen Gästen Softdrinks und Shishas reicht. Sie bleibt mit ihrem Blick an den Augen der verschleierten jordanischen Frauen haften. „Perfekt geschminkte Augen. Würdevoller und geheimnisvoller als jede europäische Frau“. In Akaba sind die Damen gut betucht, es sei der wahre Orient, so Liedtke. Mit diesem Gedanken bleiben die Zuschauer zurück, während Aigner auf der Gitarre Mobys ‚Familiar Places’ anstimmt. Im Publikum schauen einige gespannt, andere bleiben stehen und gesellen sich dazu.
Die Nachmittagssonne fällt genau auf die Bänke vor der Bühne. Nirgendwo ist Schatten. Mitunter ist es beinahe so heiß wie in der Geschichte, die wir hören. Die Golanhöhen sind „keine öde, schroffe Berglandschaft“, fährt Liedtke fort. Doch dieses Gebiet sei immer noch stark umkämpft. Dort entstehe ein bizarres Bild: „Reit- und Joggingstrecken führen an Stacheldraht entlang, der vor Minenfeldern warnt“, sagt sie. Seit Ende des Krieges 1967 hält Israel die Golanhöhen besetzt. Bis auf einige geduldete arabische Drusen wurde die arabische Bevölkerung 1967 vertrieben. Israelis leben heute dort. Wann hier Frieden einkehrt?
Andernorts erblicken Liedtke und ihr Mann Steine inmitten von Blumen. Hebräische Namen sind darauf in weißer Farbe zu lesen: Ein modernes Schlachtfeld. Anders als bei Äquivalenten in der Normandie aus dem 2. Weltkrieg ist es angelegt von Menschen, mit denen Liedtke morgens den Bus nimmt. Sie kann sich damit identifizieren. Es ist keine dumpfe Erinnerung an ein Gestern einer anderen Generation.
Liedtke schafft ein Mitreden-Mitfühlen-Mitwirken. So bleiben die Slogans, die unterhalb der trailer-Wortschatzbühne sichtbar werden, nicht nur Lettern auf einem Plakat, sondern gelebte Realität.
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