Vier Tage, über 100 Bands auf sechs Bühnen: Auf Europas größtem Umsonst&Draußen-Festival Bochum Total ist es schwer, die musikalischen Trüffel zu finden. Lokale KünstlerInnen, altbekannte Punk-Gesichter, SingerSongwriterInnen sind dabei, Acts wie Alidaxo mit Schamane im Bärenfell, die zehnköpfige Brassband Moop Mama oder Neoswing-Bombe Alice Francis stehen neben ihrer musikalischen Qualität für Showspektakel, bei denen man trotz insgesamt 600.000 BesucherInnen nah dran sein kann.
Das ist alles gut und schön, aber die beste Band des Festivals spielt am dritten Festivaltag abseits vom ganz großen Trubel auf dem KAP am Ende des Bermudadreiecks. Zackig kommen Gurr auf die Bühne. Ob da jetzt sechs oder 6.000 Menschen zuhören, scheint Leadsängerin Andreya Casablanca und Laura Lee Jenkins wurscht zu sein. Bei Gurr sind alle willkommen, alle können genauso gut zur Hölle fahren. Das ist nicht böse gemeint, sondern eine Haltung, die dem schnörkellosen Garagesound der Band entspricht.
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Die beiden Musikerinnen haben sich beim Studium in Berlin kennen gelernt. 2012 gründeten sie die Band, 2015 kam die erste EP „Furry Dreams“, im Oktober 2016 erschien das erste Album „In my Head“. Der Name Gurr bezieht sich lautmalerisch auf Laura Lees Taubenphobie. Passen würde er aber auch als Hommage an die Riot Grrrl-Bands der 1990er wie Bikini Kill oder Le Tigre. Während Kathleen Hanna ihre feministische Botschaft über schrammelige Gitarren hinweg der patriarchal geprägten (Musik)Welt entgegen schmetterte, klingen Gurr aber viel weniger rau.
Schnelle, nach vorne treibende Riffs in temporeichen Songs wie „Rollerskate“ wechseln sich mit fast verträumt arrangierten Surf Pop wie in „Moby Dick“ ab. Was die MusikerInnen selbst als „First Wave Gurrcore“ bezeichnen, transportiert gar nicht mal so fröhliche Texte. Zeilen wie „I can’t grasp the darkness out in the sea / We should mourn the stories untold“ erzählen zwar keine traurigen Geschichten, bleiben aber Fragmente einer Wehmut, die subtil unter der melodiösen Ungezwungenheit von Gurr mitschwingen.
Revoluzzergeist ist trotzdem vorhanden: „Es wird oft gesagt, wir seien eine Female Garage Rock Band. Dabei sind wir eine Garage Rock Band!“, stellt Andreya klar und zwinkert Schlagzeuger Brandon Walsh zu. Recht hat sie, niemand würde betonen, die Rolling Stones seien eine „male Rock Band“. Andreya berserkert dazu in ihrem blauen Overall mit Leopardensocken über die Bühne, strahlt diese „Leckt mich doch alle!“-Haltung aus, ohne arrogant zu wirken. Dramatische Popstarposen – Fehlanzeige. Eher würde sie von der Bühne springen und sich ein Bier nebenan holen. Laura Lee stimmt manchmal headbangend ein, Bassistin Sally Brown hält sich eher im Hintergrund und entzieht sich durch geschickte Drehungen den Fotografen.
Gurrs Stil wird von einer Lässigkeit getragen, die wirkt, gerade weil sie nicht gefallen muss. Als sie zum Abschluss „#1985“ anstimmen und „Underage drinking / fucking around, I had to turn thirty before I could be so cool“ singen, ist das angesichts ihrer energiegeladenen Performance zu bezweifeln. Wie die beiden Frontfrauen schwitzend und rotzig über die Bühne turnen, ist ein feministisches Signal, ob sie wollen oder nicht.
Denn ihr Konzert wird von zwei kleinen Mädchen in der ersten Reihe sehr genau beobachtet und gefeiert. Weibliche Vorbilder in der Musik, die ihr Ding durchziehen und nicht bloß als aufgehübschte Klangkörper durchgehen, sind noch immer viel zu selten. Die Hysterie auf Alicia Keys eigentlich uninteressante Ankündigung, kein Make Up mehr zu benutzen und jeder klassisch besetzte HipHop-Clip zeugen davon. Auf die Frage, was die beiden jungen Konzertbesucherinnen später mal werden wollen, ist die Antwort „Rockstar“ spätestens nach dem Gig von Gurr wahrscheinlicher als „Prinzessin“ oder „Ballerina“.
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