Wer die Macht über die Bilder hat, bestimmt nicht nur die Interpretationshoheit von Information, sondern auch die Seriosität menschlicher Geschichte. In den letzten Jahren hat durch die technische Entwicklung eine wahre Bilderflut die Berichterstattung und die subjektive Sicht auf die Welt beeinflusst, formal kann man deshalb zwar von einer Evolution des visuellen Wissens, aber auch von einer aufweichenden Determination zwischen Fiktion und Realität ausgehen. Das Museum Folkwang in Essen zeigt dazu zeitgleich zwei Ausstellungen, die nur auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten. Denn was könnten die eleganten Bildschöpfungen und stilisierten Welten von Erwin Blumenfeld, einem der eigenwilligsten Modefotografen und Künstler des 20. Jahrhunderts, mit der politischen, fotografischen Sicht auf eine andauernde Revolution in Ägypten zu tun haben? In erster Linie wollen beide Ausstellungen Wert auf die besondere Analyse ihrer jeweils verwendeten fotografischen Medien und der digitalen Technik legen, dennoch hat die Äquivalenz hier auch ihre formalen Grenzen. Bei „Kairo. Offene Stadt“ (gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes) werden Fotografie und Video als ein neuer Kommunikationskanal zwischen Menschen und Menschen und Medien verstanden, im Falle von „Blumenfeld Studio“ ist insbesondere die dienende Funktion der neuen Technik kongruent, die den Modefotografen in die Lage versetzte, neue Sichtweisen zu etablieren, aber auch eine differenzierte eigene Ästhetik zu begründen.
Ganz im Sinne des tschechoslowakischen Medienphilosophen Vilém Flusser, der bereits in den späten 1980er Jahren der Meinung war, dass das Auftauchen neuer Medien zu keiner Beeinträchtigung führen würde, sondern für die Gesellschaft eher die Gefahr sah, dass die riesigen Chancen vertan werden könnten, die sich durch die neuen Medien ergeben, gibt es heute ein neues Rollenverständnis von Bildern, fast ohne Zeitverlust transportiert über die neuen digitalen Netzwerke. So zeigt das experimentelle Ausstellungsprojekt, wie es mit Hilfe dieser Medien gelingt, nicht nur den Aufstand zu initiieren, sondern die daraus resultierenden Tatbestände aufzuzeichnen und wertfrei durch die Welt zu schicken. Das hat längst dazu geführt, dass herrschende Systeme im Umgang mit aufbegehrenden Massen neue Strategien entwickeln müssen, wollen sie den selbst erklärten illegitimen Herrschaftsanspruch einfach nur halten.
In Kairo geht es auch um die öffentliche Deutungshoheit des Geschehens, das gleichermaßen von Kameras der internationalen Medien und von privaten Handyvideos dokumentiert wird. Mit der einfachen digitalen Verarbeitung der Bilder ist ein ganzes Medium im Umbruch. Meinungsbildung und -weitergabe ist längst inflationiert, hat den Lauf der Dinge durch das Internet und seine sozialen Netzwerke beeinflusst; inwieweit diese Bilder aber eine für die Historie authentische Erinnerung schaffen, ist noch nicht sicher, groß bleibt die Gefahr der Manipulation. Die umfangreiche Ausstellung ist in einzelne Kapitel und Stationen gegliedert, die von namhaften Persönlichkeiten der Kairoer Kunstszene kuratiert werden. Beide Präsentationen des Essener Folkwang-Museums legen dazu besonderen Wert auf die Inszenierung der Fotografie im Raum.
„Blumenfeld Studio“ / „Kairo.Offene Stadt“ I 2.3. bis 5.5. I Museum Folkwang, Essen I www.museum-folkwang.de
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