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„Der Diener zweier Herren“
Foto: Arno Declair

Das Grundgesetz der Komödie

20. Dezember 2012

Bösch vergagt Goldonis „Diener zweier Herren“ in Bochum – Theater Ruhr 01/13

Die Glühbirnenkette leuchtet, die Vespa knattert, die Männer haben eine dicke Hose und sind alle Kleingangster. So ist das in Italien. Und das wird sich auch nicht ändern. Im Bochumer Schauspielhaus suppt das Klischee gleich eimerweise über die Bierbänke der kargen Bühne. David Bösch setzt Carlo Goldonis Klassiker „Der Diener zweier Herren“ in Szene und gibt dem Komödienaffen kräftig Zucker. „Hunger“ knurrt es gut vernehmlich aus Truffaldinos unterversorgtem Magen und sein Herr kann das missgestimmte Organ einfach nicht zum Schweigen bringen: Der Trieb spricht. In Tanktop und Schlabberhose gibt Nicola Mastroberardino einen ziemlich abgerissenen Titelhelden. Immerhin kann er italienische Schlager singen und mit seinem Achselgeruch Gegner in die Flucht schlagen. Damit die Hose nicht zu sehr schlottert, verdingt er sich bei gleich zwei Herren – der Trend geht zum Zweit- und Drittjob –, und damit kommt der groteske Plot in Gang. Auf der einen Seite Florindo Aretusi, den Raik Küster als präpotenten Ganoven spielt; auf der anderen Beatrice Rasponi, die als ihr verstorbener Bruder auftritt und der in Gestalt von Therese Dörr die Macho-Gesten immer wieder verrutschen. Mit beiden könnte es Truffaldino noch aufnehmen, doch Beatrices Bruder war der zickig-blonden Clarice (Maja Beckmann) versprochen. Und deren Vater Pantalone (Jürgen Hartmann als prollig-eitler Ganovengeck) kennt keine Gnade: Versprochen ist versprochen – auch wenn das Töchterchen den eitlen Silvio (Matthais Eberle) liebt.

Von der berühmten Terence Hill-Nummer mit dem Pistolehalten und Händeklatschen über Augenstechen wie bei Laurel & Hardy, einer Eifersuchtsszene mit Baseballschläger oder dem großen kitschigen Doppelselbstmord der Liebenden – Bösch lässt nichts aus. Das Gag-Arsenal stammt aus der Commedia dell’arte, aus Screwball Comedy, Trash-Komödie, Horrorfilm oder Oper und ist durchaus unterhaltsam. Doch Bösch missachtet ein Grundgesetz der Komödie: Pointen haben etwas mit Ökonomie zu tun. In Bochum aber jagt ein Gag den nächsten und unterminiert so den dramaturgischen Zusammenhang. Die Inszenierung scheint immer wieder selbstverliebt stillzustehen angesichts der eigenen komischen Einfälle. So frisst die Komik ihre Kinder, lässt aber auch kaum kritische Schärfe zu. Die Ausbeutung des Dieners bleibt ebenso Beiwerk wie der Hunger ein Running Gag, die Gangster kommen über hohle Testosteron-Bolzen kaum hinaus – der Witz ist selten abgründig. Dass am Ende der Showdown in die große Operngeste mit Lohengrinschwan mündet, wundert dann nicht mehr: Das Liebespaar Florindo und Beatrice stirbt anders als bei Goldoni einen etwas absurden Liebestod, während der halb versöhnte Silvio im weißen lohengrinesken Schwan reingefahren kommt, um seine inzwischen einäugige Clarice zu beeindrucken. Großes Kitschmaterial, das eher den Einfallsreichtum der Regie belegt, als dem Stück letztlich gut zu tun.

„Der Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni | R: David Bösch | Schauspielhaus Bochum | 6.1. 17 Uhr 17./25.1. 19.30 Uhr | www.schauspielhausbochum.de

Hans-Christoph Zimmermann

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