Die Zöpfe sind verdammt lang geworden. Lange ging es nicht mehr um Revolte. Aufbegehren? Fehlanzeige. Heute geht es nur noch darum genügend Follower für die eigene nichtige Existenz in der virtuellen Welt zu ergattern. Kein Wunder, dass die Zöpfe immer noch auf der Bühne hängen bei Frank Weiß´ Inszenierung von Jean Genets (1910-86) „Die Zofen“ im Bochumer Prinz Regent Theater. Sie werden sogar zur Schaukel umfunktioniert. Abschneiden kommt nicht mehr in Frage. „Shine your light now, This time it's got to be good, You get it right now, Cause you're in Hollywood“. Das Stück beginnt gekonnt herrschaftlich, Kleider an, Kleider aus. Toller Schmuck. Schnell noch ein Selfi fürs Internet. Wir sind jung und cool und wir sind die „gnädige Frau“, sexy, reich, keine beherrschte Herrin.“ Let's play master and servant.“ Genau das performen die beiden jungen Zofen Claire (Johanna Wieking) und Solange (Philine Bührer), auch wenn das in den ersten Minuten gar nicht zu erkennen ist in Genets Tragödie. Sie spielen das Spiel immer, wenn die richtige „Gnädige“ nicht zu Hause ist. Die Dinge sind aber auch verführerisch, über die sie da ihre Hand halten dürfen, und im Lichte der Gegenwart betrachtet ist ihre Revolte ein böser Anachronismus, denn da kämpft keine unterdrückte Klasse gegen eine dekadente Obrigkeit, da will sich die Erniedrigung selbst an der Dekadenz versuchen. Was bleibt ist ein grandioses Abmurksen bis der Wecker klingelt.
Frank Weiß inszeniert die böse Geschichte schnell und melodiös auf der kleinen Bühne (Sandra Schuck) mit viel Plüsch auf dem Boden, auf einem Schrank und einem Boxspringbett. Hier spielt sich der virtuelle Kampf der Zofen gegen das Herrschertum ab, hier werden die Gifte gemischt und Intrigen gesponnen, die den Herrn des Hauses bereits ins Gefängnis gebracht haben. Doch die Macht ist nicht mit ihnen. Die „gnädige Frau“ (Nermina Kukic) kehrt heim. Die Intrige scheitert. Was bleibt sind „Sweet Dreams“, dazu Demütigung und Unterwerfung im Fantasialand. Doch die beiden Zofen kennen einen realen Ausweg aus den Trugbildern.
„Die Zofen“ | R: Frank Weiß | Mi 8.11., Do 9.11. 19.30 Uhr | Prinz Regent Theater Bochum | www.prinzregenttheater.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Ein zeitloser Albtraum
Franz Kafkas „Der Prozess“ im Bochumer Prinz Regent Theater – Prolog 12/24
„Was heißt eigentlich Happy End heute?“
Alexander Vaassen inszeniert „How to date a feminist“ in Bochum – Premiere 05/23
Lug und Trug und göttliche Rettung
„Onkel Wanja“, „Orestes“ und „Dantons Tod“ – Prolog 03/23
Widerstand ist immer machbar
Januar-Programm der Freien Theater im Ruhrgebiet – Prolog 01/23
The Return of Tragedy
Theater im Ruhrgebiet eröffnen die neue Spielzeit – Prolog 09/22
Kitchen Stories
„Die Hausherren“ als Uraufführung im Livestream am PRT Bochum – Prolog 03/21
Das langsame Ende eines schnellen Anfangs
„Squash“-Premiere in Bochum – Bühne 02/21
„Wir müssen in der Lage sein zu spielen“
Hans Dreher vom Prinz Regent Theater über die Arbeit während Corona – Premiere 08/20
2 Stunden, 2 Spieler, 2 Stücke
Neue Dramatik im Prinz Regent Theater – Bühne 04/20
Es braucht kein Gewimmel von Hexen mehr
Goethes „Faust“ im Bochumer Prinz Regent Theater – Auftritt 11/19
Lumpi gegen den Perfektionswahn
„Ein hündisches Herz“ im Bochumer Prinz Regent Theater – Bühne 05/19
Archäologie eines Songs
Thomas Meinecke über „Cherchez la femme“ am 26.6. im Prinz-Regent-Theater Bochum – Musik 07/18
Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24
Trance durch Kunst
Die Reihe Rausch 2 in Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 11/23
Brecht im Discounter
„Der gute Mensch von Sezuan“ am Grillo-Theater in Essen – Theater Ruhr 10/23
Bretter der Kulturindustrie
„Das Kapital: Das Musical“ im Schauspiel Dortmund – Theater Ruhr 10/23
Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23
Der gefährliche Riss in der Psyche
„Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 04/22
Unberührbare Souveränität
Frank Wedekinds „Lulu“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 03/20
Totenmesse fürs Malochertum
„After Work“ in den Bochumer Kammerspielen – Theater Ruhr 02/20
Gespenstisches Raunen
Die Performance „Geister“ am Schauspielhaus Bochum – Theater Ruhr 02/20
Drei wilde C´s im Schnee
„After Midnight“ im Essener Grillo – Theater Ruhr 02/20
Von Büchern überschüttet
„Sokrates der Überlebende / Wie die Blätter“ in Mülheim – Theater Ruhr 02/20
Tragödie mit Diskokugel
Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Oberhausen – Theater Ruhr 01/20
Ein hochemotionaler Spiegel
Khaled Hasseinis „Drachenläufer“ in Castrop-Rauxel – Theater Ruhr 01/20