Auf den Brettern der Welt ist es still, auf den virusfreien Online-Plattformen geht es hoch her. Heute zoomen wir uns mal in die Leben zweier junger Menschen, deren Beziehung zwischen Mittsommernacht und Alltagsleben unaufhaltsam zerbröselt. „Squash“ heißt das Stück von Matthias van den Höfel, das das Bochumer Prinz Regent Theater via Video-Konferenz im Internet uraufführte, nun ja, sagen wir mal als interessant ausgeleuchtete Lesung. Inszeniert hat sie Hans Dreher, der den zeitgenössischen Rückschlag-Dialog des Bochumer Autors dafür besonders geeignet fand und für den sich bei der Premiere dann rund 80 Follower (darunter mein ehemaliger Squash-Trainer!) willig einloggten, einige mit Ladeproblemen kämpften, andere Bild oder Ton vermissten, Theater in modern times eben, mit Smalltalk, Zigarette und etwas jugendlicher Fäkalsprache.
Die beiden lernten sich zufällig bei einer Skandinavien-Reise auf einem einsamen Bahnhof kennen, sie suchte im Sommer das Nordlicht, er mit seiner Ukulele Landschaft und Menschen. Man fand sich schnell im kleinen Zelt wieder, wie das so ist – und schon sind wir mitten drin im Sog der Gefühle, die sich später im Alltag beweisen sollen und müssen. Dreher spielt mit den Video-Chat-Mechanismen, die nicht allzu viel Raum lassen zwischen Licht, Schatten und diversen (zufälligen) Farbspielen. Laura Thomas und Tim-Fabian Hoffmann haben bei ihrem Meeting auch nur die Kamera und ihre Smartphones. Gerade haben sie sich auffällig zufällig online wiedergetroffen und reflektieren ihre gemeinsame Zeit, Rückblenden und Gegenwart mischen sich. Was war toll, was ist geblieben?
Zwischen Abenteuer und Lebensangst
Squash ist dabei dramaturgisch ein wichtiges Symptom, zeigt es doch, wie sich jeder mehr oder weniger auf den anderen einlassen muss, wenn er das will. Sie liebt den geschlossenen Court und den schnellen Gummiball, er als Musiker scheint nicht so der Sportive zu sein, obwohl ihre schulischen Leistungen das nicht prophezeit haben – sie hatte eine Vier im Sport, er eine in Kunst. Ab und an machen sie sich vor dem Bildschirm Luft, wandern aus dem Bild, oder füllen es ganz aus. In der Gegenwart scheinen sie eher verkniffen, beide quält die Frage, woran es wohl gelegen hat, dass sie scheiterten? Es kann nicht nur an der Routine gelegen haben, wahrscheinlicher lag es an den unterschiedlichen Lebensauffassungen zwischen Abenteuer und Lebensangst, vielleicht zwischen Karriere und Planlosigkeit oder doch an der toten Oma? Jedenfalls wanderte bei „Ihm“ ihr vergessener Squashschläger vom Schlafzimmer in den Keller, während „Sie“ sich einen Neuen zulegte, schließlich wollte sie nie nur der Ausweg aus seinem Scheißleben sein. Der Bruch kommt mit seiner Flucht aus ihrem durchgetakteten Leben nach Kanada. Die Entfernung entfernt, sie reist ihm nach, doch das endet im Desaster.
Immer spielen sie sich gekonnt die Streit-Sätze zu. Stichwort sticht Stichwort. Der Sex unter der Dusche im Squashcenter und die Eurythmics sind running-gags, bis zuletzt. Die Befindlichkeit bleibt unaufgeregt, ihre Sichtweisen unterschiedlich, dafür wackeln die Bilder, werden bunter, ab und an sind beide doppelt zu sehen. Beide haben – scheinbar zwanghaft – neue Beziehungen, der Smalltalk nimmt zu. Sie verlassen ihre Bildschirme, wandern nach draußen. Doch nach konsequenter Neuorientierung sieht das auf den Videofenstern von A und B eigentlich nicht aus. Es schwingt so eine mysteriöse Melancholie durch die letzten Dialoge. Here comes the rain again. Haben sie die glücklichste Zeit ihres Lebens schon hinter sich?
Squash | R: Hans Dreher | 6.3. 19.30 Uhr | Prinz Regent Theater Bochum (Stream mit Zugangslink) | 0234 77 11 17
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