Nur auf den ersten Blick komödiantischer Beziehungsstress zwischen unterschiedlichen Geschlechterwelten: Alexander Vaassen inszeniert am Bochumer Prinz Regent Theater „How to date a feminist“ von der britischen Dramatikerin Samantha Ellis.
trailer: Warum kann ein Regisseur die Widersprüchlichkeiten moderner Weiblichkeitsbilder glaubhaft inszenieren?
Alexander Vaassen: Ich denke, das hat etwas mit dem Regiebegriff zu tun, der sich für mich in vier Jahren Studium herauskristallisiert hat. Ich komme ja gerade frisch aus dem Regiestudium. Für mich heißt Regie nicht, dass ich als Genie oder als Gott – oder wie auch immer man das definieren will – sage, das will ich so machen, das will ich erzählen und alle anderen müssen sich damit arrangieren, ich verstehe Regie eher als Aufgabe, einen Raum zu eröffnen und in diesem Raum können dann alle miteinander frei und kreativ werden. Ich glaube, da habe ich als weißer heterosexueller Mann strukturell- leider immer noch -alle Karten in der Hand. Es ist leicht für mich zu sagen, ich möchte diese Machtstrukturen nicht, ich öffne einen Raum, indem wir uns zum Beispiel mit diesem Raum auseinandersetzen können.
Zwei Schauspieler:innen für sechs Rollen – wie abhängig ist das Stück denn von seinen emanzipierten Akteur:innen?
Ich glaube, es ist abhängig von sehr guten Akteur:innen. Da habe ich Glück, weil Maja Dickmann und Samuel Türksoy einfach wahnsinnig gut sind. Auch Wynonna Nixel, die das Kostüm macht, ist mir wichtig. Das sind alles aware Künstler:innen wie man heute sagt und das ist auf jeden Fall sehr wichtig, dass wir da wach sind. Das Ganze ist ja unterschrieben von der Autorin Samantha Ellis als Romantic Comedy. Eben auch diese Narrative, diese Dramaturgien, diese Strukturen –und damit spielt sie und da braucht es eine große Wachheit, damit man keine Dinge reproduziert, die die Autorin nicht will und die wir nicht wollen.
Was passiert in dem Stück überhaupt? Ist das so eine Art zeitgenössische Zwiebelhäutung?
Eigentlich gar nicht. Man wartet tatsächlich ein bisschen darauf, dass die Zwiebel gehäutet wird. Das benutzt diese Hollywoodstruktur der romantischen Komödie. Es geht um dieses Pärchen, das sich findet und das die Klischees umdreht: Er ist der bekennende Feminist, für sie läuft eigentlich alles ganz gut: „ich steh halt auf Arschlöcher“, sagt sie. Dann entwickelt sich das so, dass man merkt, dass sie irgendwie nicht rauskommen aus diesen Strukturen. Das müssen wir in den Proben überprüfen, ob sich ein großes romantisches Finale dann noch richtig anfühlt.
Ist das mehr ein edles Boulevardstück oder geht das im Subtext unter?
Es ist total lesbar als Edel-Boulevardstück. Ich denke, dass das gerade viele Leute erreichen kann. So wie ich das höre, hat das Publikum eine große Sehnsucht danach, unterhalten zu werden. Dann ist meine Sorge groß, dass das auf Kosten der Inhalte geht. Das Stück schafft es, dass es sehr niedrigschwellig und liebevoll so ein wichtiges Thema wie Feminismus und darüber hinaus generelle Rollenbilder und Machtstrukturen unterhaltsam anspricht und vor allen Dingen charmant und ohne Vorwürfe erzählt. So kann ich mir Comedy angucken und nehme quasi im Vorbeigehen Gedanken mit und werde zum Reflektieren eingeladen.
Viel Bewegung auf der Bühne braucht es bei diesem ich sage mal „Dialog-Bombardement“ nicht, oder?
Im Gegenteil, ich glaube schon. Dadurch, dass es ja wirklich wahnsinnig viel Dialog und Klipp Klapp ist – die Sprache hat eben auch eine tolle Direktheit – braucht es vielleicht nicht Bewegung im herkömmlichen Sinne. Es muss nicht sein, dass da viel von links nach rechts gelaufen wird, aber vielSpiellastikund Körperlichkeit, damit es eben kein Diskurs wird, sondern schon ein lebendiges Erlebnis.
Bühnenbildwechsel sind ja im Prinzregent immer eine Aufgabe. Aber die offenen Kostümwechsel in diesem Stück müssen besonders sitzen. Das ist ja ein ewiges Hin- und Her.
Da schaue ich gerade mit Wynonna Nixel.Wir werden sehen, wie viele Umzüge wir wirklich machen. Ich glaube, dass es nicht zu durchschaubar werden sollte und man vielleicht an den Punkt kommen sollte, sich zu fragen, ob es vielleicht doch mehr als zwei Ensemblemitglieder sind?
Und wie gehen Sie mit den Zeitsprüngen um?
Ich finde das ist schon klug von der Autorin vorgegeben, zum Beispiel mit den Kostümwechseln, wenn die Schauspieler:innen da auf einmal mit Karnevalskostümen rumrennen. Ich bin ein großer Fan von einfachen Mitteln. Ich glaube, wir können dem Publikum zutrauen, dass ein dezenter Lichtwechsel das schon genügend markiert und sie verstehen das schon durch den Text, dass da ein paar Monate zurückgespult wurden und ich deren vergangene Geschichte sehe. Das ist auch der Vorteil von diesen Romcom-Strukturen, die die Autorin benutzt, das ist so im Fleisch und Blut im Rezipieren, dass ich da sofort mitgehen kann. Es ist kein Prinz von Homburg, wo ich dann am Ende überrascht bin, das war alles ein Traum, sondern hier sind es wirklich Rückblenden: so haben sie sich kennengelernt, das ist ein gängiges Romcom-Mittel, da kann jeder sofort mindestens fünf Filme wiedererkennen.
Werden wir ein richtiges Happy End erleben?
Das müssen ehrlicherweise die Proben zeigen. Ich glaube, wir werden ein Happy End erleben. Aber nicht im Hollywood-Sinne. So wie es geschrieben ist, ist es für mich eine Tragödie. Die haben zwar bei Samantha Ellis ein Hollywood-Happy End, aber so richtig was gelernt haben sie aus dem, was da in eineinhalb Stunden passiert ist, nicht, und richtig reflektiert haben sie es auch nicht. Und durch die Notausgänge in der Geschichte gehen sie auch nicht durch. Eigentlich kommen wir am Ende an den Punkt zu fragen, was heißt eigentlich Happy End heute?
How to date a feminist | 1.6. 19.30 Uhr (P) | Prinz Regent Theater, Bochum | 0234 77 11 17
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