Dem deutschen Fernsehen entkommt man nicht. Auch nicht im Theater. Eurovison. Das alte Präludium, im Dortmunder Theater. Live dabei, wobei, bei der ultimativen Killer-Show. Kay Voges inszeniert die „Die Show“ (beide Worte englisch). Schick im RTL-Farbton, mit homophoben Witzen zum Einstieg, Fahrstuhlmusik von der Empore. Kopfüber in die Dortmunder Nordstadt-Nacht. Ja und die Borussia ist die Nummer eins in der Tabelle, ja und schwarz und gelb. Stadttheater-Plattitüden fürs heimische Publikum, das dient nicht nur dem Warm-Up, auch dem Local-Feelin‘ zum Spielzeitstart. Einfach gestrickt, geschickt platziert. Marketing fürs Volk. Voges macht das geschickt – mit boshaften Hintergedanken.
Dennoch, für die früh genug Geborenen bleibt es auch ein multipler Ideenklau im durchaus telegenen Samstagabend-Unterhaltungsmist. Ob die Premiere deshalb auf einen Sonntag gesetzt wurde, um nicht mit den unmittelbaren Originalen konkurrieren zu müssen? Wer weiß es? Die Geschichte an sich stammt vom US-amerikanischen SF-Autor Robert Sheckley, der in den 1960ern zahlreiche (sog.) Groschenromane fabrizierte. Wolfgang Menge machte aus „The Prize of Peril“(„Der Tod spielt mit“) ein frühes TV-Spektakel, das Tom Toelle 1970 mit Jörg Pleva verfilmte. Diesen Hintergrund hat Kay Voges nun mit typischen Fernsehshow-Elementen verquirlt, eine dreistündige Revue (ohne Pause!) des belanglosen Geplauders generiert, und endlich sollte der Theatergänger wieder wissen: TV-Shows sind blöd, aber stimmt das denn überhaupt? Das Spiel hat in Dortmund einen ganz bösen Pferdefuß. Nachdem Carlos Lobo das Premierenpublikum so richtig heiß gemacht hat und das die Funktion des „Applaus“-Schildes verinnerlicht hatte, klatschte man für alles, ob es darum ging Asylanten schlecht zu reden oder Randgruppen zu beleidigen, selbst beim wichtigen niederländischen „Sprichwort“ „Let op drempels“ (Straßenschild) klatschte man begeistert. Ja sind denn alle doof wie Brot? Mir fällt da spontan „Die Welle“ (2008) mit Jürgen Vogel ein, in Deutschland scheint immer noch vieles möglich, und da hilft es auch nicht die deutsche Nationalhymne auch mal etwas schräg zu präsentieren, vom nackten farbigen Püppchen als Hilfe-für-Afrika-Spende mal ganz abgesehen. Auch Theater kann unbeabsichtigt(?) Folter sein.
Sei es drum. Bäcker Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann) will aus dem Lohnsklavendasein ausbrechen und riskiert für eine Million Euro in der Die-Show sein Leben. Das dreiköpfige Killerkommando, Bettina Lieder als KGB-Agentin, Andreas Beck als Ex-Knacki und Security-Profi und Björn Gabriel als Psycho, darf ihn mit Aussicht auf die gleiche Summe verfolgen, verletzen und im letzten Teil erschießen, wenn er den Weg auf die Dortmunder Bühne nicht schafft. Ich bin mir sicher, für dieses TV-Format würden sich problemlos Kandidaten und Zuschauer finden lassen, nur war das vor 45 Jahren im WDR auch schon so. Die Inszenierung spielt natürlich geschickt mit den Parametern des Bauernfangs. Ein paar Celebrities, die geschlechtsumgewandelte Vater/Mutter von Bernhard Lotz aus der ehemaligen DDR (natürlich, Flucht bleibt Flucht), dazu diverse Liveschaltungen und Statistiken, die kein Mensch braucht und natürlich Experten, die das Geschehende einordnen.
Man kennt heute die Stellschrauben und man hat am Theater endlich die Technik, sich dem Fernsehen zu stellen. Der hehre Nordmann Lotz, Marke „Triumph des Willens“, stellt sich anfangs kraftvoll den niederen Gefahren, zu dumm ist er nur fürs Kleingedruckte. Die Aussicht auf den Geldkoffer macht blind, oder es ist der Ruhm, für eine derart dämliche Wette ausgewählt worden zu sein. Dann kämpft er sich fünf Tage lang im Tutu (!?) durch Dortmund, er kämpft gegen Hunde, Motorradfahrer und diverse Psycho-Foltereien. Irgendwann nimmt er der Möchtegern-James-Bond-Gegenspielerin eine Waffe ab und kann sich verteidigen. Ein Unbeteiligter wird erschossen, er war (natürlich) Jungprofi beim BVB, Lotz kämpft sich so bis auf die Bühne. Bis hierhin war alles sauber inszeniert, gekonnt gespielt, geschickt manipulativ. Ein großartiges Spektakel, dessen überzeugendster Protagonist das Publikum war. Voges entlarvt die schwarze deutsche Seele. Es kommt wie es kommen muss. Lotz hat gewonnen und doch nicht, wegen der stibitzten Knarre. Also muss er noch einmal Russisches Roulette spielen – und verliert. Wie sollte es auch anders sein? Dass nun das Kommando die Kohle einstreicht, geht im großen Klatschmarsch-Finale fast unter. Wie der letzte Satz vom Knacki: „Solange das Kommando unterwegs ist, braucht Dortmund keine Angst vor Flüchtlingen haben.“ Angewidert muss man feststellen: Da stehen die ersten Reihen schon fast für die Premieren-Standing-Ovations.
„Die Show“ | So 13.9. 18 Uhr, Mi 30.9. 19.30 Uhr | Theater Dortmund | 0231 502 72 22
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