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„Kannibale und Liebe“
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Dem Schlächter ganz nah

29. November 2012

Jörg Buttgereits „Kannibale und Liebe“ in Dortmund – Theater Ruhr 12/12

Zwei Frauenleichen ausgeweidet, mal schnell einen menschlichen Braten gezaubert. Ed Gein war ein irrer Mörder und diente zahlreichen Horror-Filmen wie „Psycho“ oder „Schweigen der Lämmer“ als blutrünstige Basis. „Der Schlächter von Plainfield“ wurde zum Unhold seiner Zeit und das waren die grauen 1950er Jahre in Wisconsin. Im Dortmunder Studio erzählt Regisseur Jörg Buttgereit, selbst Autor diverser Arthouse-Horrorfilme, unter dem ziemlich missverständlichen Titel „Kannibale und Liebe“ Geins Geschichte als die eines Anti-Helden mit zahlreichen Polizei-Originaldokumenten in Wort und Bild.

Der kleine Raum ist dunkel und ziemlich voll mit Trockeneis-Nebel. Als der sich verzieht und einer zwielichtigen Atmosphäre Platz macht, erkennt man mit Mühe rechts ein Fenster, links einen schwarzen Sarg. Dazwischen ein Tisch. Julia Schubert als Psychologin beginnt die Story zu erzählen, als sich der Sarg öffnet und der Mann erscheint, der Teile von mindestens 15 verschiedenen ausgegrabenen Leichen besaß, darunter eine Sammlung Nasen, Masken aus Gesichtshaut und Schalen aus Totenschädeln. Wie viel Grauen kann der Zuschauer ertragen?

Uwe Rohbeck spielt den irren Mörder als einen eigentlich unscheinbaren kleinen Mann, der mit schwarz gefärbten Lippen aufgeräumt am Verhörtisch sitzt und seine unerhörten Aussagen macht, widerruft und erst nach mehrfachem Nachfragen dann doch die Wahrheit leise preisgibt. Bis in die letzte Faser scheint Rohbeck in diese Figur gekrochen zu sein, da passt jedes Zucken im Gesicht, der wirre Blick und das fiese Grinsen der Gewissheit, dass er etwas ganz Außerordentliches vollbracht hat und dies erst nur bröckchenweise gestehen wird. Weit sitzen die Zuschauer nicht entfernt, viele würden auch nicht gern noch näher am Geschehen sein wollen. Da hilft auch nicht die Musik von Slayer oder Johnny Cash, kein noch so schwarzer Slapstick-Einfall aus dem Sarg, jedwedes Lachen bleibt im Halse stecken. Buttgereit hat einen großartigen dunklen Abend eingerichtet, der allein wegen Uwe Rohbeck schon absolut sehenswert ist, und Friedrich Schiller wird dem Regisseur den Titeltrick bestimmt verzeihen, irgendwann, irgendwo.

„Kannibale und Liebe“ von Jörg Buttgereit | R: Jörg Buttgereit | Sa 1.12. 20 Uhr | Theater Dortmund | 0231 5 02 72 22 | www.theaterdo.de

PETER ORTMANN

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