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Jörn Meier-Berberich
Foto: Privat

„Der Mensch bleibt der wesentliche Risikofaktor im Straßenverkehr“

25. Juli 2022

Mobilitätsberater Jörn Meier-Berberich über autonomes Fahren – Teil 2: Interview

trailer: Herr Meier-Berberich, wie sehr trägt menschliches Versagen zu Verkehrsunfällen bei?

Jörn Meier-Berberich: Von 2013 bis 2015 gab es ein großangelegtes Projekt zum autonomen Fahren, das zeigt, dass zu über 90 Prozent menschliches Versagen die Ursache von Verkehrsunfällen ist. Unfälle, die auf ein rein technisches Versagen zurückzuführen sind wie beispielsweise einen geplatzten Reifen, sind demnach im einstelligen Bereich. Der Mensch ist und bleibt also der wesentliche Risikofaktor.

Was ist der aktuelle Stand beim autonomen Fahren?

Hier muss man zwei verschiedene Ansätze unterscheiden: Zum einen gibt es die Fahrzeuge, die z.B. in Sion im Einsatz sind. Die treibende Kraft hier waren von Anfang an die Hersteller, beispielsweise Navia oder Easy. Inzwischen sind die Fahrzeuge auch in Deutschland im Einsatz, unter anderem in Berlin, Hamburg oder auch dem Verkehrsverbund Rhein/Main. Sie fahren mit sehr geringen Geschwindigkeiten und haben eine Sicherheitsbegleitung dabei. Das darf man sich nicht wie einen Fahrer vorstellen, sondern es sitzt vielmehr jemand auf einem Klappsitz in der Fahrerkabine, der im Notfall einschreiten kann. Zum anderen gibt es eine andere Entwicklung, die parallel verläuft und vor allem von der Tech-Branche vorangetrieben wird. Hier geht es um die Weiterentwicklung von Algorithmen, um das autonome Fahren noch sicherer zu machen – auch bei erhöhter Geschwindigkeit und ohne eine Sicherheitsbegleitung. Eines der ersten Beispiele hierfür waren die Google-Autos. Inzwischen gibt es hier die Google-Schwester Waymo in San Francisco, die weiter an den autonomen Fahrzeugen arbeitet. Vor allem in Phoenix findet man inzwischen erste unbegleitete Fahrzeuge von Waymo. Optisch sind dies ganz normale Autos ergänzt um Kameras und Lidarradar. In Europa ist Mobileye beim Testen auf der Straße führend, ein israelisches Startup, das inzwischen von Intel übernommen wurde. Deren Technologie wird nun auch in Deutschland genehmigt. Für 2023 ist ein erstes „Testfeld“ in München mit Sixt geplant, um das autonome Fahren auch im normalen Straßenverkehr zu testen, unter anderem erfolgt das dann auch in Hessen. Die Fahrzeuge hierfür müssen erst hergestellt werden, so dass davon auszugehen ist, dass diese in 2024 dann auf ersten innerstädtischen Straßen, aber auch auf der Landstraße zu sehen sein werden. Hier schaut ganz Europa nach Deutschland, denn wir sind das erste Land in Europa, das die gesetzliche Grundlage für autonomes Fahren geschaffen hat.

Wir gehen davon aus, dass es keine wirklich bedeutenden Schwachstellen gibt“

Was sind mögliche Schwachstellen?

Wir in unserem Projektkonsortium gehen natürlich davon aus, dass es keine wirklich bedeutenden gibt, denn sonst würden wir die Technologie nicht auf die Straßen bringen. Und das entspricht auch dem Stand der Technik. Es gibt Situationen, die ein menschlicher Fahrer intuitiv löst, die ein Auto erst lernen muss. Nur als Beispiel: Sie fahren durch die Stadt und vor Ihnen hält ein Müllauto mitten auf der Straße. Wir würden beide in dieser Situation auch eine durchgezogene Linie überfahren, um das Müllauto zu überholen. Ein autonomes Fahrzeug würde das per se nicht machen, weil es gegen die Regeln verstößt. Ein solches Fahrmanöver muss daher von einem Menschen (sogenannte technische Aufsicht) freigegeben werden. Und genau um diese Situationen zu erlernen ist es so wichtig, die Technologie endlich auf die Straße zu bringen.

Die Lernkurve bei autonomen Fahrzeugen ist steiler als bei uns Menschen“

Kann die Maschine im Straßenalltag menschliche Fehler berücksichtigen?

Das geht nur durch Lernen. All diese Situationen und Unwägbarkeiten werden erfasst und jedes Fahrzeug, das eine neue Situation gelernt hat, gibt das an alle anderen Fahrzeuge, also an die Steuerung weiter. Insofern istdie Lernkurve hier steiler als bei uns Menschen. Waymo beispielsweise ist seit mittlerweile fünf bis sechs Jahren im Straßenverkehr unterwegs. Um all diese Situationen erlernen zu können, gibt es ja in vielen Testfahrzeugen auch immer noch die Sicherheitsfahrer-begleitung, wobei die Eingriffe nachweislich immer seltener werden.

Zur Frage möglichen Missbrauchs: Gäbe es, um ein drastisches Beispiel zu nennen, die Möglichkeit, Fahrzeuge in eine Fußgängerzone rasen zu lassen?

Man muss ganz deutlich sagen, dass es sich bei autonomen Fahrzeugen nicht um ferngesteuerte Fahrzeuge handelt. Eine solche Situation, wie Sie sie gerade geschildert haben, wird insofern schon nicht vorkommen, weil das Auto nicht in eine Fußgängerzone fahren darf. Insofern wird das Auto das auch nicht machen. Das zu umgehen würde erfordern, dass man eine komplett eigene Technologie entwickelt, um verbotenes und bedrohliches Verhalten überhaupt erst zu ermöglichen. Das Szenario ist daher mit von Menschen gesteuerten Fahrzeugen viel realistischer, was wir ja leider auch schon erfahren mussten.

Sollen auch Einsatzfahrzeuge autonom fahren? Sie müssen im Ernstfall schneller fahren, auch über rote Ampeln hinweg.

(lacht) Nein, dafür ist das autonome Verfahren auch nicht gedacht, sondern vor allem in erster Linie an Stellen, an denen es kommerziell sinnvoll ist, das heißt also vor allem im LKW-Verkehr oder in Deutschland auch im Personenverkehr. Dass autonomes Fahren irgendwann auch mal im individuellen Verkehr eingesetzt wird, wird noch sehr lange dauern, würde uns aber dem Ziel der EU näherbringen, dass es zukünftig keine Verkehrstoten mehr geben soll. Hierfür wäre aber nicht nur autonomes Fahren sinnvoll, sondern auch ein vernetztes Fahren, bei dem beispielsweise frühzeitig eine Massen-Karambolage gemeldet wird. Der Traum vom sicheren autonomen Fahren ist schon alt, aber wir sind fest davon überzeugt, dass er in den nächsten Jahren wahr werden wird, so dass es Zeit wird, jetzt auf die Straßen zu gehen und es in der Praxis zu erproben.


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Interview: Verena Düren

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