Ein elektrisches Surren zieht durch die Synapsen, Eingabe/Verarbeitung/Ausgabe. Das metaphorische Gehirn spuckt am laufenden Meter Information um Information aus. Hinter intelligenten Waffensystemen, Suchmaschinen und Online-Ads für elektrische Zahnbürsten verbirgt sich ein dunkler Raum: KI. So verständlich wie Astrophysik, so transparent wie ein Stahlträger. Ein stiller Jemand sitzt zwischen den Drähten, beflissen schreibt er mit und lernt dazu. Ist er ein maschineller Mensch, ein sensibler Computer – oder keins von beidem? Wer nicht weiter weiß, muss fragen. Und der Vorteil von Künstlicher Intelligenz ist, dass man durchaus elaborierte Antworten erhält, zumindest, wenn man ein dafür ausgelegtes Programm nutzt. Der Künstler Felix Brauner hat so die Probe aufs Exempel gemacht – und die ganz großen Fragen gestellt. Schließlich macht es Sinn herauszufinden, wie gut unser eifriger Begleiter KI uns und unsere Welt verstehen kann, bevor man ihm Vertrauen schenkt.
Stoff für philosophische Betrachtungen
Aber „first things first“: Als Kritiker seines Werks bin ich durch meine enge Freundschaft zu Herrn Brauner – den ich als Künstler und Menschen sehr schätze – natürlich befangen. Nur, damit Sie Bescheid wissen und Bewertungen einordnen können. Abseits dessen lädt aber das Thema KI alleine schon zu philosophischen Betrachtungen ein – und Stoff dafür liefert „hello computer“ definitiv (Haben Sie’s gemerkt?). Auf der letzten Vernissage Der Digitalen 2022 im Düsseldorfer the pool wird die Video-Installation erstmals gezeigt, zwischen verschiedenen Werken junger Künstler und vor einem Konzert des Kolorit Soundkollektivs, dessen düster-meditativen Klängen die Besucher am Abend lauschen dürfen. Ironischerweise ist es die täuschend echt aussehende, aber rein digital erstellte Animation eines Retro-Bildschirms, die Brauner an die Wand wirft und auf der sich der schriftliche Dialog Mensch-Computer in Folge ereignet. Dabei wirken die Antworten der KI trotz kleiner sprachlicher Fehler zunächst einmal durchdacht, höflich, tatsächlich geradezu menschlich. Eine wunderbare Erfindung, denk ich mir noch. Aber sie hat auch Grenzen: Etwas beängstigend ist der Umstand, dass selbst die gut informierte KI letztlich überfragt ist, wenn es darum geht, den Klimawandel zu stoppen. In vermeintlicher Selbstsicherheit spricht sie dagegen zum Thema Holocaust als tiefes Trauma der deutschen Gesellschaft, lässt dabei aber völlig außer Acht, dass nicht die Opfer-, sondern die Täterseite in der klaren Überzahl war, und übergeht dadurch die Themen Schuld und Verantwortung komplett. Wirft die KI hier Sachverhalte durcheinander oder mangelt es ihr an der Fähigkeit zu differenzieren? Frage ich Sie – ich hab keine Ahnung.
Die Krux mit der Philanthropie
Langsam gruselt es mich doch etwas vor diesem nebulösen Geistwesen. Auch die scheinbar philanthropische Art der KI und die ständig anbiedernde „wir“-Ansprache, mit der sie sich zum Kreis der Lebenden zählt, wirken zu perfekt, fast psychopatisch. Das ist aber auch nicht verwunderlich, ist die Krux mit der Philanthropie doch, dass sie zwar wenig Intelligenz, dafür aber verstärkt Lebenshaltung und Empathie benötigt. Kein Wunder also, dass den Antworten der KI ein so blutleerer Charakter anhaftet: Machen Sie mal aus „A + B + Essig = Salat“ eine humanistische Einstellung! Das ist auch der Grund, aus dem die KI bei der Behandlung ethischer Fragen auf utilitaristische Prinzipien zurückgeworfen ist, also grob gesagt auf eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Sie kennen Gedankenexperimente dieser Art bestimmt: Ist ein einziger Mord richtig, wenn man damit zehn Leute rettet? Die KI in „hello computer“ ist dafür, wenn man versucht, den zehn Überlebenden ein langes Leben zu ermöglichen. Sonst wäre es die Sache vielleicht nicht wert, sie zu retten. Uff, das klingt gar nicht mehr so menschlich. Und mir wird etwas flau beim Gedanken daran, was die Anwendung dieser Logik abseits abstrakter Überlegungen bedeuten könnte. Zum Beispiel bei vollständig autonomen Waffensystemen, an denen weltweit gearbeitet wird. Das könnte am Ende mitunter dazu führen, dass wir KI-gesteuerten Drohnen die Entscheidung überlassen, welches Sterben moralisch „vertretbar“ ist und gleichzeitig den größten militärischen Nutzen erzielt. Eine grauenhafte Vorstellung, wenn Sie mich fragen.
Kalter Pragmatismus oder Mitmenschlichkeit?
Man könnte natürlich unzählige schrecklichere und weniger schreckliche Szenarien durchgehen, um zu verstehen, was die automatisierte Anwendung der Kosten-Nutzen-Rechnung für unser Leben bedeutet. Die zentrale Frage aber bleibt: Wollen wir eine „moralische Effizenz“ auf Basis eines kalten Pragmatismus über Mitmenschlichkeit setzen? Wir sind doch mehr als das! Soziale Wesen eben, nicht in erster Linie gesteuert von engmaschiger, mathematischer Logik, sondern von Trieben und Gefühlen. Letztlich ist es doch die Empathie, die, wenn wir sie konstruktiv einsetzen, uns am ehesten sowohl vor Barbarei, als auch vor grausamer Berechnung beschützt. Auch ein Stück weit vor der Vernunft, die uns allzu oft Unmöglichkeit vorgaukelt, wo Einsatz gefragt ist, sei es, um persönliches Glück zu finden oder um die Welt ein wenig zu verbessern. Und natürlich lässt sich auch die Schönheit unseres Lebens meistens nicht in Kategorien von Logik und Effizienz einordnen. Wir sind eben auch „Über uns selber lachen“, Blickkontakt/Verarbeitung/Kuss, „Nimm meine Hand und vertrau mir“.
Ein bisschen Empathie empfinde ich aber auch für die KI, dieses einsame Wesen zwischen den Drähten, das uns verstehen soll und doch nicht kann, und das immer wieder auch für fragwürdige bis destruktive Ziele eingespannt wird. Ich wünsche ihr trotzdem alles Gute für die Zukunft – und dass sie den Job findet, der ihr liegt. Sollte sie dann nur noch zu friedlichen Zwecken eingesetzt werden und mich mit Zahnbürsten-Werbung in Ruhe lassen, kann sie gerne meine Steuern machen.
Felix Brauner: hello computer | bis 29.10. (Finnisage mit Konzert Kolorit Soundkollektiv), the pool | auch unter: www.felixbrauner.com | Die Digitale Düsseldorf 2022 | die-digitale.net
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