Eigentlich ist das eine Therapiesitzung, denke ich noch, als das Licht angeht und vor mir der „Club in der Psychiatrie“ in einem Sammelsurium von Mobiliar hockt, liegt, herumsteht. Doch dann geht das Licht wieder aus und der alte Mann im Mond hockt im Frack auf einer Schaukel und macht den Erzähler. Fehlerfrei, abgekocht, wunderbar. Tatsächlich eine Kooperation mit Patienten und Mitarbeitern der Bochumer Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin? Das Stück „Sin Sisters – In Betrachtung des Mondes“ ist eine Uraufführung. Geschrieben hat es die Dramaturgin und Theaterpädagogin Verena Meyer, inszeniert wurde es von der Theatertherapeutin Sandra Anklam. Und es soll wohl auch eine Therapie sein – eine gelungene.
Es geht intensiv um die Laster der Menschheit. Hochmut, Neid, Habgier, Faulheit. Alle auf der Bühne im kleinen Theater Unten können etwas dazu sagen, haben ihre Erfahrungen und auch das Talent, dies vor Publikum zu kommunizieren. Sie waren da, „ganz unten, wo die Scheiße ist“, sie glauben nicht, dass Trägheit eine Sünde ist, und doch, irgendwie scheinen alle von ihren Erinnerungen getrieben einen neuen Morgen zu erhoffen. Sandra Anklam inszeniert behutsam auf einem riesigen Flokati, bricht die Szenen geschickt mit liebevoll unbeholfener Choreografie, lässt dabei dem Einzelnen viel Raum, viel Bewegung in der Gruppe.
Nichts im Leben hat Bedeutung, diese Zen-Weisheit an diesem Abend zu hören, macht nachdenklich, während im Hintergrund leise „Hurt“ von den Nine Inch Nails in der Johnny-Cash-Version tönt. „I focus on my pain, the only thing that‘s real“. Die Zeile fällt mir ein, während sich die Gruppe auf den Weg macht, um einen Berg zu besteigen, angetrieben von „der Einen“. Ein beschwerlicher Weg, alle Krankheiten zu überwinden. Doch er wird geschafft, und es ist nicht das Ende. Manche wollen weiter ins gelobte Land, andere auf der Spitze bleiben. Einige allerdings machen sich auf den Rückweg in die Sicherheit. Auch das ist wie im richtigen Leben. Der Mann im Mond kann davon berichten.
„Sin Sisters – In Betrachtung des Mondes“ | R: Sandra Anklam | Fr 27.3., Sa 28.3.19 Uhr | LWL-Universitätsklinikum, Bochum | 0234 50 77 13 21
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Aufbrausendes Paar
„Sturmhöhe“ am Schauspielhaus Bochum
Vorlesestunde mit Onkel Max
Max Goldt in den Kammerspielen Bochum – Literatur 01/25
Gegen Remigrationspläne
Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen – Was danach geschah“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 05/24
Ein Baum im Herzen
„Eschenliebe“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 03/24
Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23
Mit Psyche in die Unterwelt
„Underworlds. A Gateway Experience“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 01/23
Tonight's the Night
Musikalische Silvester an den Theatern im Ruhrgebiet – Prolog 12/22
Zeichenhafte Reduktion
NRW-Kunstpreis an Bühnenbildner Johannes Schütz verliehen – Theater in NRW 12/22
Das Kollektiv als Opfer
„Danza Contemporanea de Cuba“ in Bochum – Tanz an der Ruhr 12/22
„Es geht um eine intergenerationelle Amnesie“
Vincent Rietveld über „Bus nach Dachau“ am Schauspielhaus Bochum – Premiere 11/22
Keine Versöhnung in Sicht
„Einfach das Ende der Welt“ am Schauspielhaus Bochum – Prolog 10/22
The Return of Tragedy
Theater im Ruhrgebiet eröffnen die neue Spielzeit – Prolog 09/22
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 01/25
Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24
Trance durch Kunst
Die Reihe Rausch 2 in Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 11/23
Brecht im Discounter
„Der gute Mensch von Sezuan“ am Grillo-Theater in Essen – Theater Ruhr 10/23
Bretter der Kulturindustrie
„Das Kapital: Das Musical“ im Schauspiel Dortmund – Theater Ruhr 10/23
Der gefährliche Riss in der Psyche
„Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 04/22
Unberührbare Souveränität
Frank Wedekinds „Lulu“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 03/20
Totenmesse fürs Malochertum
„After Work“ in den Bochumer Kammerspielen – Theater Ruhr 02/20
Gespenstisches Raunen
Die Performance „Geister“ am Schauspielhaus Bochum – Theater Ruhr 02/20
Drei wilde C´s im Schnee
„After Midnight“ im Essener Grillo – Theater Ruhr 02/20
Von Büchern überschüttet
„Sokrates der Überlebende / Wie die Blätter“ in Mülheim – Theater Ruhr 02/20
Tragödie mit Diskokugel
Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Oberhausen – Theater Ruhr 01/20