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Die Perspektive der "kleinen Kreativen" vermittelt ein anderes Bild der Branche als die der Leuchtturmprojekte
Foto: Mira Moroz

„Die Kreativwirtschaft ist der i-Punkt“

31. Mai 2013

Dieter Gorny über den wirtschaftlichen Wert von Kultur – Thema 06/13 Kreative Masse

trailer: Herr Gorny, sind die Träume bezüglich Kreativwirtschaft aus dem Kulturhauptstadtjahr in Erfüllung gegangen?
Dieter Gorny: Die Ziele, die wir uns gesetzt haben, sind in Erfüllung gegangen. Man muss dazu sagen, dass wir ja eine Kulturhauptstadt waren, nicht Ökonomiehauptstadt. Die Förderung von Kultur- und Kreativwirtschaft konnte nicht in dem einen Kulturhauptstadtjahr beginnen und vollendet werden. Wir mussten einen kontinuierlichen nachhaltigen Prozess anstoßen. Und das hat geklappt. Wir als Europäisches Zentrum für Kreativwirtschaft arbeiten mit den Wirtschaftsförderern der Region zusammen. Dabei müssen wir, anders als in den kreativwirtschaftlichen Zentren wie Düsseldorf oder Köln, die ja eher Bestandspflege betreiben, Kreativwirtschaft von Grund auf aufbauen. Dazu kommt, dass einer der großen kreativwirtschaftlichen Bereiche im Ruhrgebiet, das journalistische Verlagswesen, stagniert oder sogar schrumpft. Das ist für uns ein weiteres Argument, Milieus zu entwickeln, die in mikroökonomischen Strukturen Möglichkeiten schaffen, sodass sich hier auch zukünftig Unternehmen ansiedeln.

Gab es vor RUHR.2010 keine Kreativwirtschaft?

Dieter Gorny
Foto: BVMI Markus Nass
Dieter Gorny (59) ist Geschäftsführer des european centre for creative economy.

Die Kulturschaffenden und Kreativen waren natürlich schon vor RUHR.2010 da. Sie firmierten aber zum Teil unter anderen Namen. Die „freie Szene“ zum Beispiel spielte zuvor keine zentrale Rolle für die Zukunftsdiskussion der Region.

Hat das Ruhrgebiet eigentlich Chancen im Vergleich zu anderen Metropolen wie zum Beispiel Berlin?
Berlin funktioniert wunderbar für sich selbst, aber ein paar Kilometer weiter ist man auf dem Land. Wenn ich hier ein paar Kilometer weitergehe, bin ich in Europa. Ich bin in drei Stunden in Paris, in zwei Stunden in Brüssel und Amsterdam. Das ist doch eine Riesenchance.

Warum ist der Bereich Kreativwirtschaft im kulturellen Leben eigentlich wichtig?
Neben den bereits bestehenden – wie ich finde hervorragenden - Einrichtungen der öffentlich finanzierten Kultur haben hier in den letzten Jahrzehnten jüngere Bevölkerungsschichten neue Kulturformen etabliert. Wir benötigen deshalb einen Kulturbegriff, der diese Formen selbstverständlich mit einschließt. Studien belegen, dass wir im Ruhrgebiet schneller älter und weniger werden als im Rest der Republik. Wir laufen Gefahr, die Menschen, die hier studieren und die wir für die Zukunft brauchen, zu verlieren. Wenn wir die kulturell erreichen wollen, dann geht das nicht mehr ausschließlich über die bestehenden Kultureinrichtungen.

Ist Kreativwirtschaft nicht eine freundliche Formulierung für Hartz IV?
Diese Marginalisierung ärgert mich. Auch die Kreativwirtschaft kennt unternehmerische, industrielle Strukturen. Die Games-Produzenten und Agenturen im Ruhrgebiet sind oft mittelständische Betriebe. Diese Betriebe sind nicht vergleichbar mit dem Klischee der Digital-Bohème, die in den Cafés der Großstädte ihren Laptop aufklappt und sagt: „Ich surfe, also bin ich!“.

Aber manche Kreative können kaum von dem leben, was sie verdienen.
Natürlich gibt es auch prekäre Arbeitsbedingungen in der Kreativwirtschaft. Wir müssen klar machen, dass dies kein Zustand ist. Die Politik spricht von Mindestlöhnen, vom Wert der Arbeit. Es muss, und das wird oft übersehen, natürlich auch um den Wert geistiger Arbeit gehen. Nicht nur im Handwerk brauchen wir einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Auch dort, wo unter dem Deckmäntelchen der digitalen Modernität Ausbeutung geschieht, muss eingegriffen werden.

Aber eine Goldgrube ist die Kreativwirtschaft nur für Wenige...
Es gibt ja nicht „die“ Kreativwirtschaft. Die Branchen unterscheiden sich da sehr. In einer Agentur überlässt der Angestellte das Ergebnis seiner Kreativität der Firma. Wer etwas Tolles erfindet, wird nicht gleich am Gewinn beteiligt, bekommt dafür aber ein regelmäßiges Gehalt. Wer hingegen Musik aufnimmt, kann sich klar auf das Urheberrecht berufen. Dies garantiert aber noch kein Mindesteinkommen. Das haben Sie nur, wenn Sie Erfolg haben. Diese Branche ist also risikoreicher. Insgesamt aber geht der Trend wieder weg von den vereinzelten Kreativen in ihren Home-Offices. Firmen wie Microsoft holen die Leute wieder ins eigene Gebäude. Bei den Großen in der Branche, zum Beispiel beim WDR und bei RTL, gibt es ganz normale Angestelltenverhältnisse.

Bei der nächsten Bundestagswahl werden Sie wahrscheinlich nicht die Piraten wählen?
Nein, wahrscheinlich nicht. Dort wurde ja propagiert, dass geistiges Eigentum „ekelhaft“ sei. Die Piraten aber, die Bücher schreiben, haben nichts dagegen, wenn ihre Verlage die illegalen Downloads ihrer Bücher bekämpfen. Aber im Ernst. In Deutschland beschäftigt die Kreativwirtschaft eine Millionen Menschen und macht etwa 140 Milliarden Euro Umsatz. Wer sagt, geistiges Eigentum sei Allgemeingut, will einen großen Teil dieser Arbeitsplätze vernichten.

Die Piraten möchten das freie Netz, in dem arme Schlucker ihre geistige Nahrung umsonst bekommen. Ist das nicht ein hehres Ziel?
Wer möchte, dass Kultur niederschwellig zugänglich ist, muss zum Beispiel Theaterkarten staatlich subventionieren. Dies machen wir ja nicht zu Lasten der Künstler. Wir lassen ja den Bürger nicht günstig in Bibliotheken und sagen zu den Literaten, dass sie deswegen auf die Hälfte ihres Honorars verzichten müssen. Nur im Netz, so meint man, sollen die Kreativen alles umsonst anbieten. Aber die Entwicklung läuft ja wieder in die andere Richtung. Inzwischen will niemand mehr das Urheberrecht abschaffen. Diese Forderungen sind doch etwas verpüffelt, um nicht zu sagen verpufft.

Was würde aus der Abschaffung des Urheberrechts denn folgen?
Wenn wir die digitale Frage bezüglich des Schutzes geistigen Eigentums nicht in den Griff bekommen und sich auch keine gesellschaftliche Haltung hierüber entwickelt, helfen uns alle Gründerzentren für Kreativwirtschaft nichts. Wenn Schriftsteller keine Honorare mehr bekommen, Musiker keine Gagen, können sie nicht mehr kreativ sein. Eine solche Entwicklung schadet letztlich auch dem Konsumenten. Wenn es nichts Neues mehr gibt, kann er auch auf nichts mehr zurückgreifen. Diese Entwicklung wird ja schon allgemein beklagt. Die Altstars in der Musikbranche können ihre Verluste beim CD-Verkauf kompensieren, indem sie mehr auf Tour gehen. Aber der Nachwuchs, der im luftleeren Raum des Internets herumschwirrt, hat da enorme Schwierigkeiten.

Ist da die Legislative gefragt?
Nein, wir brauchen keine schärferen Gesetze. Das Urheberrecht ist da völlig ausreichend. Es bleibt nur die Frage, wie wir die vorhandenen Gesetze im digitalen Raum durchsetzen. Da müssen wir ran. Und wir benötigen einen bewussteren Mediennutzer.

Kann die Kreativwirtschaft alle arbeitslos gewordenen Autobauer beschäftigen?
Nein, das kann sie nicht. Sie kann aber Muster liefern, wie man in einer sich individualisierenden Welt besteht. Die Leute wollen nicht mehr das protzige Auto von der Stange, sondern den Fiat 500 in der Nagellackfarbe ihrer Partnerin. Hier kann Kreativwirtschaft mithelfen, große vormals starre Industrieprozesse wettbewerbsfähig zu gestalten. Diese Region, was ein großer Vorteil ist, hat ja immer noch Industrie. Wenn wir uns die industrielle Struktur des Ruhrgebiets als „i“ vorstellen, dann ist die Kreativwirtschaft der i-Punkt. Sie schafft Milieus, in denen sich Kultur und Wirtschaft vermischen können.

Das Dortmunder U genießt ja den zweifelhaften Ruf eines Millionengrabes.
Hier wie auch aktuell beim Musikzentrum Bochum zeigt sich das Problem, wie in der Öffentlichkeit über Kulturförderung debattiert wird. Die Mittel für solche Projekte kommen zum Beispiel von der EU, vom Bund, vom Land und aus privaten Quellen. Die Kommunen beteiligen sich an solchen Projekten mit dem kleineren Teil. Immer handelt es sich um zweckgebundene Mittel, mit denen eben nicht die Klassenräume in Grundschulen angestrichen werden können. Viele verurteilen gern Kulturprojekte, sagen aber auch nicht, was stattdessen zu tun ist. Ohne Kultur wäre es hier sehr trist. Dann bliebe in letzter Konsequenz, dass „der Letzte das Licht ausmacht“. Das ist nun wirklich keine Alternative. Hier leben mehr als 5 Millionen Menschen. Wir müssen also zwingend die Zukunft der Region gestalten.

Interview: Lutz Debus

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