Von Paris zurück in die Provinz ging es mit einem Werk von Véronique Olmi bereits im Schauspiel Essen, als hier im Jahr 1999 ihr Drama „Die Umarmung des Skorpions“ uraufgeführt wurde. Den französischen Theaterhäusern erschien es damals als zu heikel, auf den landeseigenen Bühne ihr Stück zu spielen, in der eine Wahlstimme für den Le Pen-Clan als Familienkonflikt eskaliert. Deswegen fiel die Entscheidung auf Essen.
Über 20 Jahre später ist es erneut ein Ruhrgebietspublikum. Und wieder geht es um eine Rückkehr in die Provinz, wieder eröffnet Olmi ihren Zuhörer:innen einen Generationenkonflikt. Diesmal ist die französische Erfolgsautorin jedoch selbst in Duisburg, um im Rahmen der 43. Duisburger Akzente mit ihrer langjährigen Übersetzerin Claudia Steinitz über ihre erst kürzlich erschiene, deutsche Ausgabe ihres jüngsten Romans zu sprechen. „Die Ungeduldigen“, so der Titel, erzählt von drei Schwestern, die in den 1970er Jahren aus dem patriarchalen Muff der de Gaulle- und Pompidou-Ära ausbrechen.
Selbstverständlichkeiten erschüttert
Véronique Olmi erzählt in ihrem autobiographisch gefärbten Roman, wie das Beben des Mai 68 noch Jahre später die gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten erschüttert – auch oder gerade in der Aix-en-Provence. Hierhin kehrt Hélène, einer der Schwestern, von ihrem reichen Onkel aus Paris zurück, gekleidet in einem roten Regenmantel, wie sie in dieser Zeit wohl nur die Pariser Bohème nonchalant trug.
Gleich in diesem Anfangskapitel, aus dem Claudia Steinitz an diesem Abend in der Kulturkirche Liebfrauen liest, werden die Konfliktkonturen der knapp 450 Romanseiten deutlich: Während sich die drei heranwachsenden Schwestern aus den Ketten einer konservativen Umgebung befreien und um Selbstbestimmung kämpfen, entfremden sie sich zugleich von ihrer Herkunftsfamilie, gerade von ihrem Vater, einem katholisch-gläubigen Grundschullehrer. Über den erwähnten Auftritt von Hélène heißt es daher: „Sie kam aus einer Welt, von der er sich ausgeschlossen fühlte …“.
Sittlichkeitsverbrechen
Wie Olmi verrät, sei diese Figur ihrem eigenen Vater entsprungen: „Er wurde in dieser neuen Welt sehr einsam, da er sie nicht mehr verstand.“ Das findet auch in ihrem Roman Eingang, in dem die drei Frauen die Studierendenproteste verfolgen oder Simone de Beauvoir lesen. „Zugleich geht es darum, wie diese neue Zeit die Kinder erreicht: durch Bücher, Filme oder Theater“, so Olmi. „Mein Buch ist daher ein Porträt dieser Zeit voller Umwälzungen.“
Das Vergangene, von dem sich Olmis Frauenfiguren loseisen, kennt noch Begriffe wie „Sittlichkeitsverbrechen“. Denn Homosexualität gilt noch als Tabu – genauso wie eine weibliche, sexuelle Selbstbestimmung. „Bis dahin ging es darum, dass Frauen Kinder für eine starke Nation in die Welt setzen“, erinnert sich Olmi. „Die Ungeduldigen“ lässt daher auch die Meilensteine einer feministischen Emanzipation Revue passieren wie etwa das „Manifest von 343“, eine Petition, die 1971 öffentlichkeitswirksam für die Legalisierung von Abtreibungen warb. Was dieser Aufbruch bedeutete, verraten allein solche Sätze von Olmi: „Die Auflehnung war unter die Haut gekrochen, um das Verlangen zu wecken, sie pulsierte in den Körper im Rhythmus einer Herzaterie.“
43. Duisburger Akzente | bis 3.4.
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