Dreidimensional ist die Figur der kleinen großen Isa allemal, sie ist kein Zeichentrick-Avatar, sie ist Wolfgang Herrndorfs Vermächtnis an die Welt, gegen die er anschrieb, bis sie ihn vertrieben hat. Nicht einmal fertig geworden ist die Geschichte der „Bilder deiner großen Liebe“, ein Fragment ist sie geblieben, 2014 als Roman posthum erschienen. Dennoch treibt die Herumtreiberin ständig durch die Theater, flüchtet durch die Gitter einer Anstalt, in die sie nicht gehört, wandert wie Alice durch das Wunderland Natur und trifft hier auf Unwägbarkeiten menschlicher Abgründe und auf das Existenzielle selbst. Diese Dreidimensionalität hatBabett Grube in ihrer Oberhausener Inszenierung auf drei Schauspielerinnen übertragen, dienun auf kleiner Bühne erst einmal ohne alles loslegen. „Die Sterne wandern, und ich wandre auch.“
Die Geschichte beginnt harmlos, fast durch Zufall, ein Tor geht auf und Isa in die Welt. Eigentlich kennen wir sie ja aus Herrndorfs „Tschick“. Dort verdreht sie den beiden Jungs den Kopf. Jetzt verdrehen die drei ungleichen Persönlichkeiten (Susanne Burkhard, Nina Karimy und Elisabeth Hoppe)erst einmal dem Publikum die Blickwinkel auf den Kaninchenbau, in den Isa gestürzt zu sein scheint. Und das Publikum wird – da hilft bei Babette Grube keine Flucht in die letzte Reihe – in dieses Wunderland hineingezogen, mit Frage und Antwort, mit Rat und Tat und mit Plastiktüten als selbst entfernte Jungfernhäutchen, die über den Kopf gestülpt werden. Diese Geschichte lässt einen einfach nie unberührt.
Grube inszeniert den gewaltigen Roadtrip des Mädchens, das in der Lage ist, mit einem Finger den Lauf der Sonne aufzuhalten, auf ganz kleiner Fläche, essbare Requisiten füllen sie beiläufig, wie Isa ihren Magen. Doch irgendwann wird die Welt zu eng, die drei schlagen Löcher in die Wand, aus denen Licht quillt wie der Schein fremder Welt. Die Löcher werden größer, ein Durchgang in die Fremde des Theaters, und wenn dann die Kugel aus Isas Pistole nach dem Schuss in die Wolken ihren Weg zurück in den Lauf findet, dann weiß man, Isa ist nicht verrückt, Isa kann Wunder erschaffen.
„Bilder deiner großen Liebe“ | R: Babett Grube | So 15.4. 18 Uhr, Di 17.4., Do 19.4., Mi 9.5. 19.30 Uhr | Theater Oberhausen | www.theater-oberhausen.de
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