Christian Felber ist Autor der Bücher „Geld“ und „Gemeinwohlökonomie“, erschienen im Deuticke Verlag. Mehr Infos über www.christian-felber.at
trailer: Was ist die Gemeinwohl-Ökonomie und wodurch zeichnet sie sich aus?
Christian Felber: Es handelt sich um eine ganzheitliche neue Wirtschaftsordnung, eine Alternative zu Kapitalismus und Kommunismus, die auf universalen Werten aufbaut. Ziel ist das Gemeinwohl; Geld und Kapital sind nur Mittel. Wirtschaftlicher Erfolg wird an der Erreichung des Zieles gemessen werden und nicht wie heute an den Mitteln. Deshalb werden Bruttoinlandsprodukt, Profit und Rendite von Gemeinwohl-Produkt, -Bilanz und -Prüfung als primäre Erfolgskenngrößen abgelöst. Je höher die ausgewiesenen ethischen Leistungen eines Unternehmens, desto stärkere rechtliche Anreize erhält es: bei Steuern, Zöllen, Zinsen und öffentlichen Aufträgen. So werden nachhaltige Produkte preisgünstiger als unethische und nur verantwortungsvolle Unternehmen überleben.
Welche Maßnahmen müssen an dem bestehenden Wirtschaftssystem durchgeführt werden um eine Gemeinwohl-Ökonomie langfristig durchzusetzen?
Christian Felber ist Autor der Bücher „Geld“ und „Gemeinwohlökonomie“, erschienen im Deuticke Verlag. Mehr Infos über www.christian-felber.at
Die drei wichtigsten Umsteuerungen sind: die Anpassung der ökonomischen Erfolgsmessung auf das verfassungsmäßige Ziel. Zweitens sollten negative Rückoppelungmechanismen eingebaut werden, um die Konzentration von Einkommen, Vermögen, Erbschaften und Unternehmen zu bremsen und zu deckeln. Drittens schlagen wir die Weiterentwicklung der Demokratie vor, von der rein repräsentativen zu einer „Souveränen Demokratie“ hin. In dieser werden die verfassungsmäßigen Grundregeln für die Wirtschaft von der höchsten Instanz, dem Souverän, geschrieben; die Vertretung des Souveräns führt diesen Verfassungswillen mit Gesetzen aus.
Gemeinwohl ist nicht Teil des heutigen Leistungssystems. Liegt es denn in der Natur des Menschen?
Die Sorge für andere ist als Fähigkeit in uns genauso veranlagt wie Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit. Doch kein Gen zwingt uns zu etwas. Wie wir uns verhalten, ist zum einen eine freie Entscheidung von Individuen; zum anderen kommt es auf die gesellschaftlichen Spielregeln an, welche Verhalten belohnt werden. Genau an diesem Punkt setzt die Gemeinwohl-Ökonomie an: In der Wirtschaft sollen menschliche Tugenden gefördert werden. Umgekehrt soll das Leben menschlicher Schwächen zu Misserfolg führen. Das wäre der wirkungsvollste Hebel für das Gemeinwohl.
Sie schlagen statt einer Finanzbilanz eine Gemeinwohlbilanz vor, welche Faktoren sollten Ihrer Meinung zu dieser Bilanz gehören?
Wir schlagen vor, dass alle Verfassungswerte abgefragt werden: Menschenwürde, Solidarität, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Demokratie. Wendet man sie auf die „Berührungsgruppen“ eines Unternehmens an – von den Zulieferbetrieben bis zu den zukünftigen Generationen und den Planeten, kommen dabei fast von selbst die wesentlichsten Indikatoren: Sinnhaftigkeit des Produkts, menschliche Arbeitsbedingungen, Verteilungsgerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, innerbetriebliche Transparenz und Demokratie.
Wie funktionieren demokratische Gemeinwohl-Banken wie bspw. die GLS-Bank, die Ethik-Bank oder die Bank für Gemeinwohl, die Sie gerade in Österreich gründen?
Sie haben grundsätzlich ein anderes Ziel: das Gemeinwohl umfassend zu fördern. Sie spekulieren nicht undfinanzieren nur sinnvolle Projekte, die eine ethische Bonitätsprüfung bestanden haben. Die Bank für Gemeinwohl wird keine Gewinne ausschütten und die SparkundInnen zum Verzicht auf den Sparzins einladen – was wir über Bildungsangebote an der Geld-Akademie systemisch gut begründen. Wir bauen die betriebliche Demokratie über die Anforderungen des Genossenschaftsgesetzes aus und lassen die EigentümerInnen auch während des Jahres mitbestimmen. Schließlich wollen wir mit unserem Beispiel andere Banken inspirieren. Langfristziel ist die demokratische Reform der Geld- und Finanzordnung.
Wäre eine Welt ohne Geld denkbar? Und was könnte an die Stelle des Geldes treten?
Ja, auch wenn ich das erst als übernächsten Schritt sehe. Jetzt geht es um die Demokratisierung des Geldes und um einen bewussten Umgang damit, der durch ethische Regeln gestützt wird. Grundsätzlich ist es aber denkbar, die Währung zunächst auf Zeit umzustellen: Alle Menschen geben Zeit, was ihren Kontostand erhöht, und können die Zeit anderer Menschen konsumieren, was ihren Kontostand verringert. Noch längerfristig könnte die Zeitwährung durch eine Kombination aus Vertrauen und Verantwortung abgelöst werden: Menschen bringen ihre Gaben dankbar ein und stellen wertvolle Güter her, im Vertrauen darauf, dass andere dasselbe tun: So entstünde Fülle für alle. Voraussetzung sind gereiftere Personen.
Trifft die Gemeinwohl-Ökonomie den Nerv der Zeit?
88% der Menschen in Deutschland wünschen sich eine ethischere Wirtschaftsordnung. Zwei Drittel haben angegeben, dass sie die Ablöse des BIP durch ein „Bruttonationalglück“ befürworten. In fünf Jahren haben sich fast 2000 Unternehmen der Bewegung angeschlossen. 86% der Mitglieder des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses haben in einer Stellungnahme für die Gemeinwohl-Ökonomie gestimmt: Also ja!
Aktiv im Thema
www.ecogood.org
www.transition-initiativen.de
www.christian-felber.at
Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: choices.de/thema und engels-kultur.de/thema
UNGLÄUBIG – Gott ist tot! – daran „glaubte“ schon Nietzsche. Atheisten, Agnostiker und andere Ungläubige: Ein Leben ohne religiöse Sinnressource
(Thema im Dezember)
AutorInnen, Infos, Texte, Fotos, Links, Meinungen...
gerne an meinung@trailer.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Vom unsichtbaren Bettler zum Menschen
Filmpremiere „Obdachlos – 4 Tage ein ‚Penner’“ am 7.1. im Kulturzentrum August Everding in Bottrop – Foyer 01/17
Auf der Straße
Premiere von „Obdachlos – 4 Tage ein ‚Penner‘“ am 7.1. im Kulturzentrum Bottrop
Leinwand-Helden des Lebens
Premiere von „Brüchige Biografien“ über bodo-Verkäufer im Metropolis-Kino – Foyer 12/16
Wenn Gen-Patente hungrig machen
Pat Mooney am 24.10. in der GLS Bank zur Fusion von Monsanto und Bayer – Spezial 10/16
Freundlicher Populismus
Robert Misik stellt neues Buch „Kaputtalismus“ am 22.9. im Mülheimer Ringlokschuppen vor – Spezial 09/16
Die Gespenster des Kapitalismus
Das neue Buch der taz-Wirtschaftskorrespondentin Ulrike Herrmann – Literatur 09/16
Vom Leben auf der Straße
Robert Lucas Sanatanas las am 7.9. im Medienforum Essen – Literatur 09/16
„Diese Abkommen sind undemokratisch, unsozial, unökologisch“
Alexis Passadakis von Attac über TTIP, CETA und das Klimacamp bei Köln – Spezial 08/16
Gespaltene Gesellschaft
„Talk im DKH“ mit Christoph Butterwegge und Werner Patzelt am 1.7. in Dortmund
Klimakonzepte im Revier
InnovationCity Ruhr/ Modellstadt Bottrop und Fairtrade-Metropole Ruhrgebiet – THEMA 02/16 GUTE ZEIT
„Die Energiewende ist nach Paris unumkehrbar“
Stefan Rostock von Germanwatch e.V. über eine Trendwende im Umwelt- und Klimaschutz – Thema 02/16 Gute Zeit
Die Welt ist noch zu retten
„Perspective Daily“ will konstruktiven Journalismus im Netz bieten – Thema GUTE ZEIT 02/16
„Die Kategorie Migrationshintergrund hat Macht“
Teil 1: Interview – Migrationsforscher Simon Moses Schleimer über gesellschaftliche Integration in der Schule
„Ein Überbietungswettbewerb zwischen den EU-Staaten“
Teil 2: Interview – Migrationsforscherin Leonie Jantzer über Migration, Flucht und die EU-Asylreform
„Es braucht Kümmerer-Strukturen auf kommunaler Ebene“
Teil 3: Interview – Soziologe Michael Sauer über Migration und Arbeitsmarktpolitik
„Nostalgie verschafft uns eine Atempause“
Teil 1: Interview – Medienpsychologe Tim Wulf über Nostalgie und Politik
„Früher war Einkaufen ein sozialer Anlass“
Teil 2: Interview – Wirtschaftspsychologe Christian Fichter über Konsum und Nostalgie
„Erinnerung ist anfällig für Verzerrungen“
Teil 3: Interview – Psychologe Lars Schwabe über unseren Blick auf Vergangenheit und Gegenwart
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 1: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 2: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 3: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 1: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 2: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 3: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz
„Wir müssen mit Fakten arbeiten“
Teil 1: Interview – Meeresbiologin Julia Schnetzer über Klimawandel und Wissensvermittlung