Sprache kann Geschlechterverhältnisse manifestieren. Als die Gastarbeitergattin Leyla im gleichnamigen Kapitel auf eine Nachbarin trifft, kommt langsam ein Gespräch in Gang: „‚Sie haben einen Mann?‘, sagt sie.“ Die junge Mutter, fremd im Berlin des Jahres 1965, korrigiert: „‚Er hat eine Frau‘, sage ich, ‚und das bin ich.‘“. Männer haben Frauen. Männer schreiben über Frauen. Und Männer schrieben die Geschichte, in denen Frauen nur eine Randnotiz einnehmen.
Daher legt der Autor Feridun Zaimoglu an diesem Abend auch darauf wert, dass es umgekehrt formuliert wird, als Beate Scherzer von der Buchhandlung Proust in ihrer Anmoderation etwa von Moses Frau Zippora spricht. Wie auch sonst? Solche Wendungen haben sich schließlich eingebürgert. Doch Zaimoglu korrigiert: „Moses ist ihr Mann.“ Und in seinem neuen Buch „Die Geschichte der Frau“ spannt Zaimoglu gleich einen Bogen von 400 Seiten, um die bisherige Menschheitserzählung zu korrigieren. So heißt es gleich zu Beginn: „Nach ihren Siegen lernten die Männer,/Ruhmestaten zu erdichten./ Sie schrieben, sich erlügend, ihre Sagen./ Dies ist der Große Gesang, der ihre Lügen tilgt./ Es spricht die Frau./ Es beginnt.“
Zehn Frauen erheben ihr Ich gegen ein patriarchalisches Narrativ der Geschichte und Literatur. Angefangen von der bereits erwähnten Zippora, bis hin zu literarischen Figuren wie Brunhilde oder der Lore-Ley. Jene Zauberin, die der Romantiker Clemens Brentano in seiner Ballade besang. Eine kanonisierte Männerphantasie und ein klassisches Beispiel für das „imaginierte Geschlecht“, das die feministische Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen der männlichen Autorenriege attestierte. Zaimoglu hält literarisch dagegen. „Dichtung gegen Dichtung“, wie er über dieses Kapitel sagt, das er an diesem Abend in Essen liest. Und dabei mit den Händen gestikuliert, als wollte er den Rhythmus vorgeben, mit der sich die Magd nicht vom Dichter bannen lässt.
Eine andere fiktive Frau heißt Lisette Bielstein. Sie wird in dem gleichnamigen Kapitel als Weggefährtin von Friedrich Engels vorgestellt, die wie viele andere, linke Fabrikkantentöchter in den Revolutionsjahren 1848/49 auf die Barrikaden gingen. Bevor sie vergessen wurden. Daher Zaimoglus Hommage: „Sie haben viel gekämpft, um dann beiseite geschoben zu werden. Die Revolution sollte zwar den Umsturz bringen. Aber nicht den des Mannes.“
Ein Plädoyer für die Frau zieht sich eigentlich wie ein roter Faden durch Zaimoglus literarisches Werk. Bis hin zu seinem Roman „Leyla“, mit dem der Sohn einer türkischen Gastarbeiterin 2006 den Durchbruch schaffte. Umso überraschender kam daher wohl auch für den Schriftsteller die Reaktionen so mancher männlicher Literaturkritiker: Predigt Zaimoglu nun einen Feminismus to go? Wünscht er Männern den Tod? „Wie öde ist das denn?“, zeigt sich der Autor eher gelangweilt von den Vorwürfen.
Ihm erschien ein solches literarisches Manifest für die Frauen fast überfällig: „Dass sie nicht mit Macheten auf uns los gehen, grenzt fast schon an ein Wunder und zeugt von der Güte der Frauen.“ Doch eine der porträtierten Frauen, die Feministin Valerie Solanas griff 1968 tatsächlich zur Waffe. Und richtet diese auf Andy Warhol. Ihre Parole: „Jeder Mann soll verrecken, weil er keine Frau ist.“ So lässt Zaimoglu im Finale auf das männliche Künstler-Ich schießen, was sicher auch verstanden werden darf als ein Fingerzeig an Einwände aus der identitätspolitischen Ecke.
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