Anna Karenina
GB, F 2012, Laufzeit: 130 Min., FSK 12
Regie: Joe Wright
Darsteller: Keira Knightley, Jude Law, Aaron Taylor-Johnson, Kelly Macdonald, Matthew Macfadyen, Domhnall Gleeson, Ruth Wilson
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Originell inszeniertes Kostümdrama
Großes Theater
„Anna Karenina“ von Joe Wright
Während Theaterdramen fürs Kino bevorzugt von der Bühne geholt und als Spielfilme mit realistischen Settings adaptiert werden, schlägt Regisseur Joe Wright mit seiner Verfilmung von Leo Tolstois Roman den umgekehrten Weg ein. Er transportiert den Weltliteraturwälzer fürs Kino auf eine Theaterbühne. Peter Greenaway inszenierte 1993 mit „Das Wunder von Mâcon“ ein cineastisches Drama, das auf einer Theaterbühne spielt und dabei den Zuschauerraum ebenso einbezieht wie die Kulissen. Wright geht ähnlich vor – und einen Schritt weiter. Sein Film zeigt zu Beginn die Bühne, der Vorhang geht auf, ein Mann sitzt im Sessel und wartet auf den Barbier, der mit wehendem roten Tuch heranschreitet und ihn rasiert. Die Kamera folgt ihm, flott montiert, im Detail, vertont ist die Szene wie ein „Tom & Jerry“-Trickfilm. Diese „Anna Karenina“ beginnt wie eine Slapstickkomödie, und das Tempo samt gut getimter Choreografien, die Joe Wright im ersten Drittel vorlegt, verstärkt diesen Eindruck. Sein eigenwilliger Kosmos füllt die Bühne mit Leben und das Leben mit Kulissen. Innen ist außen, außen ist innen. Statisten verfallen ins Freeze, Musiker wandern durch das Bild. Mal ist die vierte Wand, die die Bühne zum Publikum hin bildet, unsichtbar, mal wird die vierte Wand zur Wand. Mal wird die Bühne Teil einer Pferderennstrecke oder eines Blumenfeldes, mal wird die komplette Rückwand hochgezogen und eine schneebedeckte Landschaft erstreckt sich über den Horizont. Das Budget erlaubt Joe Wright, sein Drama ungleich opulenter als Greenaway auszustatten: Bauten, Kostüme, Choreografien sind kunstvoll, prächtig und aufwendig. Ein überbordender audiovisueller Reigen, der von einer Liebe erzählt, die an gesellschaftlichen Konventionen zerbricht. Keira Knightley verkörpert Anna Karenina, die 1874 in Sankt Petersburg an der Seite ihres Gatten (Jude Law) lebt, einem vermögenden Bürokraten. Sie haben einen Sohn, die Familie ist gesellschaftlich gefestigt. Als Anna ihren Bruder (Matthew Macfadyen) in Moskau besucht, begegnet sie dem Offizier Wronskij (Aaron Taylor-Johnson). Die beiden verfallen einander auf den ersten Blick und verfangen sich, gefährlich blind vor Liebe, in einer tragischen Affäre.
An Seele ist alles drin in diesem Drama: Wright erzählt vom Fluch der romantischen Liebe, vom Mut zur Leidenschaft, von der Macht gesellschaftlicher Ächtung und vom Vorzug des einfachen Lebens. Zugleich irritiert der Film, der als Melodram ausläuft, durch den anfänglichen Slapstick-Charakter: Man kann der Adaption von Joe Wright vorhalten, dass sie den Zuschauer mit ihrer turbulenten Exposition auf die falsche Fährte führt und damit nicht auf die tragische Tiefe vorbereitet, und dass das Werk insgesamt emotional zu wenig greift. In dem Film steckt äußerst viel Liebe für Detail und Inszenierung, die Inszenierung der Liebe indes wird vernachlässigt, bleibt Behauptung, Kulisse, so wie das Set Kulisse ist. Ein Makel, der die Crux eines aufregenden, mutigen Konzepts ist. Doch bleibt es ein erfrischendes Konzept, das trotz der Einwände Spaß macht, weil es verspielt die Grenzen überschreitet.
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