Anonymus
USA 2011, Laufzeit: 129 Min., FSK 12
Regie: Roland Emmerich
Darsteller: Rhys Ifans, Vanessa Redgrave, Joely Richardson, David Thewlis, Xavier Samuel, Sebastian Armesto, Rafe Spall, Edward Hogg
>> www.anonymus-derfilm.de
Gewitztes, elisabethanisches Urheber-Drama
„Shakespeare“
„Anonymus“ von Roland Emmerich
Es geschah just im Jahr 2011, dass sich eine Person des öffentlichen Lebens namens Guttenberg mit fremden Federn schmückte. 450 Jahre zuvor tat dies eventuell bereits ein anderer: William Shakespeare. So zumindest vermutet es eine inzwischen über hundert Jahre alte These, nach der Shakespeare nichts als seinen Namen hergab für das, was bis heute als sein Werk gewürdigt wird. Und es brauchte scheinbar erst einen Roland Emmerich („Independence Day“, „Der Patriot“, „2012“), der, inspiriert durch den Drehbuchautoren John Orloff, den Plan ausheckte, aus der These einen Spielfilm zu machen. Emmerich drehte ein weitgehend gelungenes, gewitzt erzähltes Drama. Und er geht ausnahmsweise mal inhaltlich in die Vollen und serviert mit cineastischer Feder einen englischen Nationalhelden ab.
Glaubt man seinem Film, war William Shakespeare Analphabet, hatte „seine“ Werke merkwürdigerweise nicht im Testament erwähnt und ist nichts weiter als ein Bühnenschauspieler gewesen. So die Vermutung jener, die hinter Shakespeares Werk andere vermuten. In diesem Fall ist dies Edward de Vere, ein Lord am Hofe Elisabeths I., der musisch talentiert ist, seine Bühnenstücke aber nicht unter seinem Namen veröffentlichen kann, weil dies zu Hofe der Ketzerei gleichkommt. Da er seine Stücke aber – verdientermaßen - gern im Theater sehen möchte, sucht er nach einer Person, die die Stücke unter dessen Namen publiziert. Ein Pseudonym hätte vermutlich auch gereicht, aber de Vere wünscht einen anderen Künstler. Ben Johnson fragt er zuerst, doch der sagt ehrenhaft ab. Und bevor es sich de Vere versieht, prescht frech William Shakespeare vor und schnappt sich den Part. De Vere fungiert von nun an als sein eigener Ghostwriter, Shakespeare erntet die Lorbeeren.
Nein, das wird den Nachbarn auf der Insel sicherlich nicht schmecken. Andererseits ist die Geschichte, oder nennen wir sie vorsichtshalber Verschwörungstheorie, angeregt glaubhaft erzählt. John Orloff ersann eine spannende Geschichte, die um Dichtung und Wahrheit kreist und sich zugleich aus Dichtung und Wahrheit zusammensetzt. Im Mittelpunkt steht dabei jener Edward de Vere (Rhy Ifans), ein literarisch inspirierter Ehrenmann, der in jungen Jahre eine Liaison mit der Queen eingeht, um Jahre später in die fiesen Intrigen Robert Cecils (Edward Hogg) zu geraten. Orloff verdichtete viele Fakten zu einem runden Ganzen, und damit ist dieser Film ein, wenn auch anfangs etwas wirr erzähltes, insgesamt aber gewitztes, aufregendes und damit ein schlicht gelungenes Szenario.
Nun hätte man es dabei belassen können. Doch die Filmemacher setzen noch einen drauf und krönen ihre Entthronisierung mit einer Beleidigung: William Shakespeare entpuppt sich in diesem Drama als egoistischer, falscher Hase, als geldgieriger, hurender und saufender Erpresser. William Shakespeare, ein eindimensionaler Unsympath. Es drängt sich der Gedanke auf, das man den Stoff auch als Schelmenkomödie hätte inszenieren können, in der Shakespare als spitzbübischer, aber sympathischer Fake-Autor durch London geistert. Dann hätte man auch mehr Witz unterbringen können, mehr British Humour, an dem es selbst diesem insgesamt tragischen Drama mangelt. Eine Komödie hätte auch dem miesen Cecil besser gestanden, der hier von Edward Hogg pointiert verkörpert, aber ebenso eindimensional dargestellt wird wie der offiziell nun auch auf der Leinwand angesägte Nationalheld.
Orloff und Emmerich indessen wählten für ihren Rundumschlag das tragische Drama, und insgesamt funktioniert auch das. Sowohl über die Story als auch durch die Inszenierung. Emmerich hat, wen wundert’s, nicht in der englischen Hauptstadt gedreht, dafür aber in Babelsberg. Und dort hat er ein überzeugendes London des ausgehenden 16. Jahrhunderts geschaffen, mit tollen Kulissen, Kostümen und wenigen, aber prächtigen Totalen auf die Stadt. Nur wird Roland Emmerich die Stadt, diese Insel so schnell wohl nicht mehr betreten. Aber er hat ja sicherlich schon eine eigene Insel. Und von Guttenberg sicherlich auch bald.
Immerhin kann man auch nach dieser Verschwörungs-Verfilmung Shakespeare gegenüber Guttenberg zugute halten, dass der Urheber der Originale nach jemandem wie ihn Ausschau hielt, während sich der blaublütige Politiker bloß ungefragt bediente. Und das macht den Shakespeare dieses Filmspiels insgesamt dann doch etwas sympathischer. Etwas sympathischer als Guttenberg.
(Hartmut Ernst)
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