Bin-Jip
Südkorea/Japan 2004, FSK 12
Regie: Kim Ki-duk
Darsteller: Lee Seung-yeon, Jae Hee, Kwon Hyuk-ho,, Lee Joo-suk, Lee Mi-sook, Moon Sung-hyuk, Park Jee-ah, Jang Jae-yong ,
Tae-Suk bricht in leer stehende Wohnungen ein. Dort wohnt er für ein paar Tage, bis die Bewohner wieder kommen. Er stiehlt nichts, kümmert sich im Gegenteil um die Wohnungen. Eines Tages überrascht ihn die depressive Sun-Hwa. Von nun an ziehen sie gemeinsam durch leere Häuser. Seit Jahren scheinen sich alle Kritiker auf die Filme des koreanischen Regisseurs Kim Ki-Duk einigen zu können. Das zeigen nicht nur die regelmäßigen und zahlreichen Auszeichnungen auf den wichtigsten Filmfestivals, sondern auch die überschwänglichen Rezensionen zu seinen Filmen. Die hiesige Faszination (in Korea ist er weitaus weniger erfolgreich) mag mit der stilisierten Schönheit, aber auch mit der irritierenden Widersprüchlichkeit der Filme zusammen hängen. Tae-Suk bricht in Häuser ein, aber er ist kein normaler Einbrecher. Er stiehlt nichts, und anders als in "Die fetten Jahre sind vorbei" werden auch keine Stühle verrückt, um politische Signale zu setzen. Während der Abwesenheit der Bewohner übernimmt er deren Rolle und bewohnt Haus oder Apartment ? er isst dort, er wäscht und er räumt auf. Und falls Zeit ist übernimmt er auch kleinere Reparaturen. Wenn die verreisten Bewohner nach einigen Tagen zurückkehren, entschwindet er wie ein guter Geist. Ein einsames Leben, da Tae-Suk immer dort ist, wo niemand ist. Bis er eines Tages in eine Villa einbricht, in der sich die depressive Sun-Hwa, ein ehemaliges Model, das von ihrem gewalttätigen Ehemann schikaniert wird, aufhält. Heimlich beobachtet sie ihn bei seinem Treiben, nähert sich dem offensichtlich sensiblen Fremden, der sich in ihrem Haus gemütlich einrichtet, langsam und vorsichtig an. Schließlich ziehen sie gemeinsam fort, um leere Häuser mit Leben zu füllen.Kim Ki-Duk ist ein Regisseur der Bilder. Das zeigt sich in seinem neuen Film alleine dadurch, dass Worte sehr rar gesät sind, vor allem seine beiden Protagonisten wortlos durch das Geschehen gleiten. Bei vielen Regisseuren würde eine solch konsequente Wortverweigerung wahrscheinlich prätentiös und aufgesetzt wirken ? der Koreaner hingegen gibt nicht nur Hinweise, die die Verletzungen hinter der Stummheit erahnen lassen, sondern rahmt die Stille in eine zaghafte Körperlichkeit ein, die Worte kaum vermissen lässt. Und passt außerdem den Ausdruck seines Films dem körperlichen Ausdruck des ungewöhnlichen Liebespaares mit einer ebenso zurückhaltenden wie genauen Beobachtung durch die Kamera an. Die Kamera ist die dritte Person in diesem Liebesreigen, der einen Traum einer vollkommenen, leichten Liebe träumt ? der Welt enthobenen. Ein Traum nur, der natürlich von der Wirklichkeit torpediert wird. Zunächst von der Vergangenheit, die noch schmerzvoll in den traurigen Blicken und den schüchternen Bewegungen der beiden hängt, natürlich auch in den Resten des Masochismus von Sun-Hwa und der Brutalität von Tae-Suk. All das macht die Annäherung der beiden zu einer schwierigen Angelegenheit, die sie vertrauensvoll mit kleinen Zeichen und Gesten meistern. Vor allem wird dieser Traum aber in der Gegenwart von außen, von der Welt attackiert. Denn die sanktioniert solche Versuche, außerhalb der Spielregeln das Glück zu finden. Und so geraten die beiden wieder in die Knechtschaft der Wirklichkeit, die hier in Form der Justiz und des Ehemanns Rache nimmt für die Respektlosigkeit und den Mut, nach dem Glück zu greifen. Kim Ki-Duk befindet sich in guter Gesellschaft mit anderen asiatischen Regisseuren wie Takeshi Kitano, wenn er den Kontrast zwischen Zärtlichkeit und Brutalität stark betont, gleichzeitig aber an einer Ästhetisierung der Gewalt arbeitet. Dass er diese für europäische Augen eher widersprüchliche Darstellungsweise wie kaum ein anderer beherrscht, hat er in Filmen wie "Samaria", vor allem aber mit "The Isle" bis ins kaum erträgliche Extrem vorgeführt. Doch in den Ausbrüchen der Gewalt findet man immer Sehnsüchte als Ursache und Antrieb. Das klingt nach einer relativierenden Entschuldigung für alle Gewalt, ist aber begleitet von einer Verzweiflung, die genau diese Gewalt nicht verstehen kann. Man möchte ihr entfliehen, so wie Tae-Suk und Sun-Hwa ihr in geisterhafter Manier zu entschwinden suchen. "Bin-Jip" spiegelt ein buddhistisches Streben nach vollkommener Harmonie mehr als jeder andere Film des Regisseurs.
(Christian Meyer)
Zwischen Helden- und Glückssuche
Die Kinotrends des Jahres – Vorspann 01/25
Schund und Vergnügen
„Guilty Christmas Pleasures: Weihnachtsfilme“ im Filmstudio Glückauf Essen – Foyer 12/24
„Das Ruhrgebietspublikum ist ehrlich und dankbar“
Oliver Flothkötter über „Glückauf – Film ab!“ und Kino im Ruhrgebiet – Interview 12/24
Besuchen Sie Europa
Die Studie Made in Europe und ihre Folgen – Vorspann 12/24
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Ruhrgebietsfilmgeschichte erleben
„Glückauf – Film ab!“ im Essener Ruhr Museum
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Filmfestivalmonat November
Mit der Duisburger Filmwoche, Doxs! und dem Blicke – Filmfestival des Ruhrgebiets – Vorspann 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Reise in die Seele des Kinos
Die Ausstellung „Glückauf – Film ab“ in Essen – Vorspann 10/24
Programmkollaps
Vergraulen immer komplexere Kinoprogramme das Publikum? – Vorspann 09/24
Zurück zum Film
Open-Air-Kinos von Duisburg bis Dortmund – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
„Poor Things“, reiches Cannes
Eine Bilanz der ersten sechs Kinomonate – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Ewige Stadt, ewiges Kino
In Rom werden aus alten verlassenen Kinos wieder Kinos – Vorspann 06/24
Ein letzter Blick von unten
„Vom Ende eines Zeitalters“ mit Filmgespräch im Casablanca Bochum
„Wir erlebten ein Laboratorium für ein anderes Miteinander“
Carmen Eckhardt über „Lützerath – Gemeinsam für ein gutes Leben“ – Portrait 05/24
Grusel und Begeisterung
„Max und die wilde 7: Die Geister Oma“ mit Fragerunde in der Schauburg Dortmund