Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra
It 2008, Laufzeit: 135 Min.
Regie: Matteo Garrone
Darsteller: Salvatore Abruzzese, Salvatore Ruocco, Simone Sacchettino, Vincenzo Fabricino,, Italo Renda, Toni Servillo, Gianfelice Imparato
Auf Tatsachen beruhend und fern von Hollywood erzählt „Gomorrha“ anhand verschiedener Schicksale vom kriminellen Geflecht der Mafia in Neapel.
Adieu, Tony Montana, gute Nacht, Vito Corleone: Willkommen in der Wirklichkeit! Während sich Francis Ford Coppola dereinst beim „Paten“ (abgesehen von einem verlorenen Hinweis darauf, dass die Politik die wahre Mafia ist) nicht traute, das Wort Mafia überhaupt in den Mund zu nehmen, fährt Regisseur Matteo Garrone der neapolitanischen Camorra direkt an den Bug. Seine trostlose, semidokumentarisch gehaltene Abrechnung mit den kriminellen Machenschaften der Clans beruht auf dem gleichnamigen Bestseller von Roberto Saviano, der seit der Veröffentlichung unter Polizeischutz steht. Episodisch verknüpft Garrone fünf Schicksale, die sich im Sumpf des organisierten Verbrechens rund um Neapel abspielen.
Zwischen Plattenbauten, Tankstellenruinen und leerstehenden Bergwerken erzählt das lebensnahe, spannende Drama von einem Mafiabuchhalter, der zunehmend verängstigt Gehälter an Mafia-Angehörige auszahlt und von einem alten Schneider, der sein Wissen heimlich an die Chinesen verkauft. Vor allem aber erzählt Garrone von Jugend und Nachwuchs, die in den verrotteten Siedlungen der Provinzen aufwachsen und in die Mafiakarriere gezogen werden bzw. von der Mafia träumen. Von Kindern im Abenteuerland ihres Ghettos, das sich mitten im Krieg der Clans befindet. Von trotzigen Jugendlichen, die sich realitätsverloren in „Scarface“-Zitaten verlieren, sich selbst überschätzen und an schnellen Reichtum und autarke Macht glauben. Während seine jungen Protagonisten träumen, streift der Regisseur seinen Geschichten sämtliche Romantisierungsansätze ab. Seine Figuren bewegen sich im Dunstkreis von Angst, Loyalität und Verrat. Und damit lässt Garrones Film wiederum erahnen, auf welchem gut recherchierten Fundament Mario Puzo dereinst sein Paten-Epos erschuf.
Inwieweit die Mafia landes-, geschweige denn weltweit agiert, erfährt man bei Garrone indes vorwiegend in den Texttafeln vorm Abspann. Der Film erzählt von den Strukturen in der Provinz, von ungepflegten Dons, die auch mal helfen, den Boden zu wischen. Die Geschäfte im Hintergrund mit Drogen, Waffen, Giftmüll und selbst der Haute Couture lassen die wahre Größe nur erahnen. So schlicht wie die Figuren, so schlicht ist der Film inszeniert: Garrone zieht kunstvollen Montagen eher mal den schlichten Schwenk vor und verzichtet insgesamt auf artifizielle Effekte und Musik. Der Film weiß dennoch zu packen, nicht zuletzt aufgrund des Wissens darüber, wie nah der Film dran ist an der Wahrheit.
(Hartmut Ernst)
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