Igor Levit. No Fear
Deutschland 2021, Laufzeit: 118 Min., FSK 0
Regie: Regina Schilling
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Sehr persönliches Porträt eines besonderen Musikers
Neu entdeckte Freiheiten
„Igor Levit. No Fear“ von Regina Schilling
Der Pianist Igor Levit hat wieder alles Mögliche am Laufen und ist präsenter denn je: Im September hat er vom Jüdischen Museum in Frankfurt den Ludwig-Landmann-Preis für Mut und Haltung erhalten. Auch die Urania-Medaille hat er für sein öffentliches Engagement gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung im September verliehen bekommen. Das erstaunt kaum, ist Igor Levit doch bekannt für seine Einmischungen ins Politische und Soziale. Aber Musik macht der Pianist ja auch: Ebenfalls im September ist sein neues Album „Tristan“ erschienen mit unterschiedlichster Musik aus den letzten knapp 200 Jahren von Liszt, Wagner, Mahler und Henze. Und Konzerte gibt er ja auch noch reichlich. Im September erntete er allerorts Beifall für seine Interpretation von Ferruccio Busonis äußerst schwer spielbarem Konzert für Klavier, Orchester und Männerchor von 1904. In Hamburg und Berlin gab es Standing Ovations. Igor Levit neigt, wie seine Fans, ein wenig zum Extrem.
Wenn man Regina Schillings Film über den 1987 in Russland, aber mit acht Jahren mit seiner jüdischen Familie nach Deutschland migrierten Musiker gesehen hat, wundert man sich vielleicht ein wenig über sein aktuelles Pensum. Schilling hat Levit über zwei Jahre begleitet. Wir sehen ihn bei Plattenaufnahmen, bei Proben und auf Konzerten, bei PR-Terminen, auf Reisen, beim Einkaufen – immer in Bewegung, garantiert nie ruhig. Anfang 2020 gesteht er in einer emotionalen Szene während einer Taxifahrt, dass er sich vor diesem Jahr mit über hundert Konzerten fürchtet. Kurz darauf steht die Welt still. Er ist sicher nicht der einzige, der die Lockdowns für einen Moment als wohltuende Pause empfunden hat, um aus einem Hamsterrad auszubrechen, das er – obwohl selbstbestimmter Künstler – nicht mehr ganz unter Kontrolle hat. Levit hält inne, kurz … Dann genießt er die neue Freiheit, indem er täglich von zu Hause aus live Konzerte streamt, die er in völliger Freiheit organisiert. Was, wann, wo, wie: alles seine Entscheidung, niemandem verpflichtet.
Levit, den die New York Times einen der „bedeutendsten Künstler seiner Generation“ nennt, hat sich Jahre lang mit Beethoven, dessen Musik er als furchtlos bezeichnet, beschäftigt. Nun findet er einen Weg in neue Welten und probiert sich aus. Er entdeckt den weniger bekannten Pianisten und Komponisten Ronald Stevenson, gibt auch mal einen Minimalisten wie Morton Feldman zum Besten, spielt mal fünf Minuten, mal drei Stunden. Der Film erspürt diese neue Freiheit so intim, wie er zuvor Levits Leidenschaft am Klavier auf die Leinwand gebracht hat. Da sitzen wir ihm förmlich auf dem Schoß, sehen die arbeitenden Hände (und den tropfenden Schweiß) in Nahaufnahme. Als die Lockdowns sich lockern und erste Konzerte wieder möglich sind, ist Levit, dem das ungewohnt lange zu Hause sein trotz der neuentdeckten Kochleidenschaft schwer fällt, sofort zur Stelle. Macht er weiter wie zuvor? Das Pensum ist sicher nicht kleiner geworden, aber die Verschnaufpause hat ihn neue musikalische Welten entdecken lassen. Das Kinopublikum ist Dank des Films bei dieser Neuentdeckung live dabei.
(Christian Meyer-Pröpstl)
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