Me Too - Wer will schon normal sein?
Spanien 2009, Laufzeit: 103 Min., FSK 6
Regie: Alvaro Pastor, Antonio Naharro
Darsteller: Lola Duenas, Pablo Pineda, Antonio Naharro
Daniel ist 34, hat Down Syndrom, einen Hochschulabschluss, einen Job. Jetzt träumt er von der Liebe.
Dustin Hoffman und Leonardo DiCaprio stellten sich bereits der Herausforderung, Menschen mit geistiger Behinderung darzustellen. Hoffman als Autist in "Rain Man", DiCaprio als geistig behinderter Bruder von Johnny Depp in "Gilbert Grape - Irgendwo in Iowa". Beide Schauspieler wurden für ihre Performance für den Oscar nominiert, Hoffman hat ihn gar gewonnen. Dramen, in denen die glaubwürdig agierenden Darsteller durch eine Hollywood-gerechte Story wandern: "Me Too - Wer will schon normal sein?" setzt in vielerlei Hinsicht einen drauf. Auch dieser Film erzählt vom Schicksal eines Menschen mit Handicap: Daniel (Pablo Pineda) ist Mitte dreißig. Mit abgeschlossenem Lehramtsstudium im Gepäck tritt er gerade eine Stelle bei einem staatlichen Büro für Menschen mit Behinderung an. "Jetzt muss ich nur noch heiraten", schmunzelt er beim Abendbrot mit seinen Eltern. Er hat auch schon ein Auge auf seine neue Kollegin Laura (großartig: Lola Dueñas) geworfen. Das Problem: Daniel hat ein Chromosom zu viel in jeder Zelle und leidet an Trisomie 21. Doch Daniel bleibt am Ball und bezirzt Laura. Die hat indes ganz andere Sorgen. Der Kontakt zur Familie krankt, der Vater liegt im Koma, ihr instabiles Leben kreist um Einsamkeit, Alkohol, kurze Dates und schnellen Sex, dem am Morgen die Ernüchterung folgt. Laura geht mit Daniel aus, teilt Sympathien, zollt Respekt - doch Liebe will zu Daniels Bedauern bei ihr nicht aufkommen. Ein Flirt mit Grenzen, ein Kuss in Freundschaft - mehr scheint nicht drin zu sein. Und doch mag Daniel nicht aufgeben.
TRAGIKOMISCH UND LEBENSNAH
Anders als in den Vorbildern wird der Hauptdarsteller dieses Dramas nicht durch einen Schauspieler verkörpert. Darsteller Pablo Pineda leidet selbst am Down Syndrom, seine Karriere ähnelt der der Figur: Er hat ein Diplom als Grundschullehrer, schloss 2004 sein Studium der Psychopädagogik ab und arbeitet heute als Berater für Familien mit behinderten Kindern. Eine untypische Karriere und bislang eine von wenigen Ausnahmen, die vor allem auf der Förderung durch die Familie und Tutoren fußt. Daniel ist Pablo Pinedas Alter Ego. Und Pablo Pineda sprengt, in allen Nuancen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, mit seiner Performance die Leinwand. Nun gibt es mancherlei Fettnäpfchen, wenn sich ein Spielfilm einer Materie wie dieser widmet: Das Wiederkauen von Klischees, unreflektierte Rührseligkeit, erhobene Zeigefinger, amateurhaftes Spiel der Laiendarsteller oder schlicht Anfängerfehler von Regiedebütanten wie Álvaro Pastor und Antonio Naharro, die hiermit ihren ersten abendfüllenden Spielfilm liefern. Doch nichts dergleichen! Zwischen Selbstironie, bittersüßen Tränen und unerschütterlichem Optimismus schicken die spanischen Filmemacher ihren Helden um die Ecken und Kanten des Lebens, ohne den Bogen auch nur einmal zu überspannen. Das ist nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass sich der Fokus gleichberechtigt auf Laura richtet. Der Film ist ebenso ihre Geschichte, Daniels Schicksal wirkt nie ausgestellt. Bereits im Drehbuch steckt viel Feingefühl. Hier kämpft nicht einer gegen den Rest der Welt, erzählt wird vielmehr eine (Liebes-)Geschichte zweier Außenseiter, die unterschiedlicher nicht sein können. Beide durchleben die Grenzen der Normen, miteinander und einander unerreichbar, tragikomisch und lebensnah.
OHNE ANTWORT
Neben dem Schicksal Daniels begleitet der Film die Geschichte von Luisa und Pedro, die beide am Down Syndrom leiden und sich ineinander verlieben. Sie lernen sich in einer Tanzgruppe kennen (die reale Tanzgruppe Danza Móbile aus Sevilla) und werden der gesellschaftlichen Schranken gewahr, als es zwischen ihnen funkt. Schranken, die bis ins Elternhaus reichen und auf etablierter Bevormundung gegründet sind. Ein Film über Grenzen, aber umso mehr auch ein Film über Möglichkeiten. Das Krankheitsbild ist vielschichtig. Nicht jeder Mensch, der an Trisomie 21 leidet, wird wie Daniel den Hochschulabschluss schaffen. Der Film sperrt sich klar gegen eine solche Idealisierung. Er zeigt aber die Möglichkeiten auf, die sich Menschen mit Down-Syndrom eröffnen, wenn sie von ihrem Umfeld mit wachen Augen begleitet werden. Möglichkeiten, die ihnen von der institutionalisierten Gesellschaft pauschal verwehrt werden. Trotzdem: Wenn Daniels Bruder sagt: "Verlieb dich nur in Frauen, die du kriegen kannst", will man ihn einerseits dafür verfluchen, und doch trifft es die Realität. Es gibt Grenzen, die nicht überwindbar sind. Das sagt selbst Laura. Und dass sie auf Daniels Frage nach dem Warum keine Antwort findet, macht den Film so berührend und wahrhaftig.
(Hartmut Ernst)
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