Melancholia
Dänemark, Schweden, Frankreich, Deutschland 2011, Laufzeit: 136 Min., FSK 12
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, John Hurt, Charlotte Rampling, Alexander Skarsgård
>> www.melancholia-derfilm.de
Das Weltende als Befreiung
Untergang deluxe
„Melancholia“ von Lars von Trier
Eine überdimensionale Stretch-Limousine müht sich über einen kurvigen Schotterweg, rangiert hin und her und bleibt dann stecken. Ein ziemlich sinnloses Unterfangen, das das Hochzeitspaar im Auto zum Lachen bringt. Justine (Kirsten Dunst), die Braut, mag Rituale wie Hochzeiten eigentlich nicht – auch wenn sie gerade auf dem Weg zu ihrer eigenen ist. Wenn diese Rituale aber Scheitern und ihre Lächerlichkeit offenbaren, findet sie Gefallen daran. Schließlich muss das Hochzeitspaar zu Fuß weiter zum Schloss, wo die Hochzeitsgäste schon ungeduldig auf sie warten.
Hohle Rituale
Nur diejenigen, die Sinn im Leben finden, können glücklich werden. Diejenigen aber, die vor dem Leben stehen wie vor einem großen, öden Tal der Sinnlosigkeit, müssen daran verzweifeln. Depression nennt sich diese Krankheit. Und auch wenn bekannt ist, dass Lars von Trier diese Krankheit gut kennt, hat er in seinen Filmen vor allem für die bedingungslos Gläubigen großartige Bilder gefunden – in „Breaking the Waves“, „Dancer in the Dark“ und vielen anderen seiner Filme. Er selber würde auch gerne die Fähigkeit haben, zu glauben, hat er einmal in einem Interview gesagt. Alleine: es klappt nicht. Was ihm bleibt ist die Faszination für bedingungslos gläubige Menschen, die trotz übelstem, sinnlosestem Schmerz am Sinn des Lebens festhalten. Auch dieses Mal zeigt er Menschen, die sich an Rituale klammern. Doch für seine Hauptfigur Justine sind Rituale nur ein lächerliches, kindliches Spiel zur Sinnstiftung. Keine Frage, dass die Protagonistin, die an Depression leidet, ein Alter Ego des Regisseurs ist. Dass auch Justines Darstellerin Kirsten Dunst Erfahrungen mit der Krankheit hat – vielleicht macht das ihre Figur so überzeugend.
„Melancholia“ ist klar aufgebaut: Nach einem düsteren Prolog, der mit einer planetarischen Kollision unmissverständlich klar macht, dass dieser ungewöhnliche Weltuntergangsfilm die Genreprämisse ernst nimmt, folgt die Hochzeit von Justine – mit zittriger Kamera und ohne künstliche Lichtquellen weitgehend nach den Regeln von Dogma gefilmt. Eine Ästhetik, die Justines zunehmende Verzweiflung an den endlosen Ritualen der Hochzeitsfeier, dessen Hauptrolle sie spielen muss, transportiert. Dieser erste Teil erinnert an Thomas Vinterbergs Dogma-Debüt „Das Fest“ und auch von Triers Fest endet im Desaster. Der zweite Teil von „Melancholia“ widmet sich Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg). Sie bewohnt mit ihrem reichen Mann das Schloss, in dem die Hochzeitsfeier stattfand. Justine hatte nach dem Fest einen Zusammenbruch, nun holt Claire ihre zerbrechliche Schwester zur Genesung ins Schloss. Während sich Justine langsam erholt, beschäftigt ein ungewöhnlicher Stern die übrigen Anwesenden. Claire ist besorgt – eine Kollision des Planeten mit der Erde ist zu befürchten. Doch Justine, die im irdischen Dasein der Menschen eine größere Bedrohung sieht als in dessen totaler Vernichtung, wird von Tag zu Tag ruhiger. Sie hat nichts zu verlieren – der Planet „Melancholia“ scheint sie im Gegenteil zu erlösen und eine visuell beeindruckend umgesetzte romantische Todessehnsucht ergreift sie. Als sich die Männer nach und nach als Feiglinge entpuppen und verdrücken, sind am Ende nur noch die Schwestern und Claires Sohn auf dem Schloss. Kann ihnen ein Ritual jetzt noch helfen?
Genussvoll zelebrierte Endzeit
Zuletzt hat Lars von Trier mit „Antichrist“ einen Film gemacht, der geprägt war von Depression. Mit „Melancholia“ macht er nun einen Film über Depression. Darin liegt eine Distanz, die den Film zu seiner berauschenden Schönheit verhilft. Von Trier genießt ebenso wie die im nächtlichen Schein des Planeten badende Justine den Weltuntergang. Er zelebriert ihn – mit wagnerianischem Tamtam. Das macht sich auch in spektakulären Spezialeffekten bemerkbar und einem virtuosen und kunstbeflissenen Zitatenspiel: Das Szenario des Schlossgartens mit den reichen Hochzeitsgästen erinnert an Alain Resnais' „Letztes Jahr in Marienbad“ von 1961 – ein wunderschön inszenierter Reigen hohler Rituale. In einer Szene von „Melancholia“ liegt Justine dann wie in dem „Ophelia“-Gemälde“ von 1852 des Präraffaeliten John Everett Millais im Fluss, und zukünftige Universitätsseminare werden sich daran machen, weitere ikonografische Verweise auszumachen.
Der Film endet mit einem der umwerfendsten und – ja: finalsten Finale der Filmgeschichte. Trotzdem fehlt auch in diesem Film nicht Lars von Triers trockener Humor. Das ist gut, denn zuviel Romantik kippt schnell ins unfreiwillig Komische. An Schönheit ist „Melancholia“ in der zweiten Hälfte zwar kaum zu überbieten. Doch als nächstes sollte der Däne wieder einen kleinen schmutzigen Film wie „The Boss of it all“ machen, sein viel zu wenig beachtetes Meisterwerk von 2006. Er scheint das zu wissen: Mit „Nymphomanic“ ist als nächste Regiearbeit ein dialoglastiger, feministischer Porno über das sexuelle Leben einer Frau von der Geburt bis zum 50. Lebensjahr angekündigt. Humor soll auch wieder dabei sein.
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