Shoplifters – Familienbande
Japan 2018, Laufzeit: 121 Min., FSK 12
Regie: Hirokazu Kore-Eda
Darsteller: Lily Franky, Jyo Kairi, Sasaki Miyu, Ando Sakura, Kiki Kilin
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Ein zutiefst menschliches Sozialdrama
Eine außergewöhnliche Wohngemeinschaft
„Shoplifters – Familienbande“ von Hirokazu Kore-eda
Sie haben ihre Geheimzeichen, sie haben ihre Tricks: Osamu Shibata (Lily Franky) und sein Sohn Shota (Kairi Jyo) schlendern unauffällig durch ein Geschäft, dann gibt Shota ein Zeichen, und während Osamu Sichtschutz gibt, füllt der Junge seinen Rucksack. Das machen die beiden schon sehr routiniert, um das karge Einkommen der Familie aufzubessern. Auf dem Nachhauseweg von einer ihrer Diebestouren entdecken sie im kalten Dunkel ein kleines Mädchen auf einem Balkon. Es wirkt traurig und etwas verwahrlost. Kurzerhand nehmen sie die kleine Yuri (Miyu Sasaki) mit zu sich nach Hause.
Osamus Frau Nobuyo (Sakura Andô) ist wenig begeistert. Neben Großmutter Hatsue (Kilin Kiki) und der Halbschwester Aki (Mayu Matsuoka) gibt es im Haus nun noch ein kleines Maul, das gefüttert werden will. Denn aus der einen Mahlzeit werden mehrere, und als langsam allen klar wird, dass Yuri in ihrem alten Zuhause misshandelt wurde, behält die Familie sie einfach bei sich.
Bis der Zuschauer die Familienverhältnisse für sich geklärt hat, vergeht einige Zeit. Und auch dann kann man sich in Hirokazu Kore-edas Film lange nicht sicher sein, ob man die Familienkonstellation wirklich durchschaut hat, die bei genauer Betrachtung so ganz anders ist als es das strenge, traditionelle japanische Familienbild zulässt. Das ist in den Filmen des Japaners, der ursprünglich von der Fernsehdokumentation kommt, keine Seltenheit. In jüngerer Zeit erzählte er mit „After the Storm“ (2016) von einer zerrütteten Familie, die von einem Unwetter reingewaschen wird. „Unsere kleine Schwester“ (2015) war ein rührendes Porträt über drei Schwestern, die nach dem Tod des Vaters ihre jüngste Halbschwester kennenlernen. „Like Father, Like Son“ (2013) war eine Geschichte zweier Familien, die nach vielen Jahren erfahren, dass ihre Kinder bei der Geburt vertauscht wurden. In „Nobody Knows“, einer von Kore-edas größten Erfolgen aus dem Jahr 2004, müssen sich vier Geschwister ohne ihre Mutter durch den Alltag schlagen.
Nicht nur das Thema Familie verbindet das Werk von Hirokazu Kore-eda mit dem japanischen Altmeister Yasujirō Ozu. Auch die zurückhaltende, in ruhigen Einstellungen und von allem Pathos befreite Inszenierung seiner Dramen lädt zu einem Vergleich ein. Wäre Kore-eda nicht 1962 – ein Jahr vor Ozus Tod – geboren, könnte man an eine Seelenwanderung glauben. In einem Interview mit dem britischen Guardian auf diese ästhetische Verwandtschaft angesprochen, fühlt sich Kore-eda zwar geschmeichelt, sieht sich aber eher in der Nähe eines Ken Loach. Einen Sozialrealismus der leisen Töne pflegt er. Im Unterschied zu den Mittelschichts-Szenarien bei Ozu und auch vieler seiner eigenen Filme – ausgenommen „Nobody Knows“ – kommt er mit seiner Diebes-Familie in „Shoplifters“ der Unterschicht eines Loach tatsächlich sehr nah. Vergleichbar ist auch der empathische Blick auf die Figuren. Ganz ohne Vorurteile begleitet der Film den etwas schlitzohrigen Osamu, der Betrügereien anzettelt, aber auch selber von einer Zeitarbeitsfirma ausgebeutet wird. Der Film nähert sich auch ohne Vorbehalte der etwas schroffen Nobuyo, die in einer Wäscherei arbeitet, oder der sensiblen Aki, die sich in einem Striplokal vor einer verspiegelten Scheibe auszieht. Kore-eda taucht ganz nah in die Welt seiner Protagonisten ein, so dass wir uns als Zuschauer fast wie Mitbewohner in dieser ungewöhnlichen Wohngemeinschaft fühlen dürfen: Wir wandern zusammen mit der Kamera durch die engen und verbauten Räume, riechen das Essen und hören den warmen Sommerregen auf dem Dach dieses kleinen, ärmlichen, aber auch gemütlichen Hauses inmitten einer kühlen Wohnsiedlung – wie die letzte Bastion einer alten Zeit, die kurz vor dem Aussterben ist. Trotz dieser emotionalen Nähe schwebt die ganze Zeit etwas Geheimnisvolles über der ungewöhnlichen Familie – vielleicht sogar etwas Unheimliches, das erahnen lässt, dass dieses Beziehungsgeflecht brüchig ist. Allzu viele Sentimentalitäten gestattet sich Hore-eda nämlich nicht. Wie die Familie hat sich der Film dem Pragmatismus verschrieben und behält eine leichtfüßige Balance zwischen zarter Empathie und sozialkritischer Beobachtung. Man merkt immer noch, dass Kore-eda vom Dokumentarfilm kommt.
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