Slumdog Millionär
Großbritannien/USA 2008, Laufzeit: 120 Min., FSK 12
Regie: Danny Boyle, Loveleen Tandan
Darsteller: Dev Patel, Freida Pinto, Madhur Mittal, Anil Kapoor, Mia Drake
Danny Boyle erzählt die Lebensgeschichte des jungen Inders Jamal, der als ehemaliges Slumkind drauf und dran ist, bei „Wer wird Millionär“ den Höchstgewinn abzusahnen.
„Kleine Morde unter Freunden“, „Trainspotting“, „Sunshine“: Krimikomödie, Screwball, Drogenkult, Zombie-Horror, Kinderfilm, Science Fiction – mit seiner munteren Odyssee durch die Genres dürfte Danny Boyle inzwischen Stanley Kubrick überholt haben. Mit „Slumdog Millionär“ setzt er seine inspirierte Reise konsequent fort. Diesmal hat sich der britische Regisseur Bollywood vorgenommen.
Boyles Film beginnt in einem Fernsehstudio in Mumbai, wo gerade live „Wer wird Millionär“ ausgestrahlt wird. Der Kandidat: Jamal, ein unbedarfter junger Mann, Waise, Slumkid, heute Callcenter-Mitarbeiter. Er steht vor der finalen Frage. Doch weil er so souverän durch den Fragenmarathon gekommen ist, wird er kurzerhand aufs Polizeirevier verschleppt und verhört. Dort erzählt er seine Lebensgeschichte, in der sich die Antworten auf die Quizfragen wundersam versteckt halten. Der Film blickt zurück auf Jamals harte Kindheit im Slum, wo er mit seinem Bruder aufwächst und das Waisenmädchen Latika (Freida Pinto) kennenlernt, in das er sich später verliebt. Die Kinder geraten in die Hände skrupelloser Krimineller und verlieren sich aus den Augen, um sich später schicksalhaft wieder zu begegnen. Lernen vom Leben: Jamals Lebensgeschichte streift fortwährend den Fragenkatalog der Quizshow. Die Antworten auf die Fragen finden sich in Erinnerungen an Müllberge, an Kindheitsphantasien, an Todeserfahrungen. Ja, wir sitzen in einem Märchen, in einem Bollywood-Film. Doch das Genre ist nur ein Mantel, und darunter steckt Danny Boyle. Sein Bollywood-Entwurf bedient sich üblicher Ingredienzien, doch Boyle sprengt die Grenzen, inszenatorisch ebenso wie inhaltlich: Gelackter Hochglanz weicht körnigen, dreckigen Bildern, die neben den märchenhaften Pfaden auch raue Realität suchen. Ungeschönt erzählt Boyle die „Oliver Twist“-Kindheit seines Helden, zeigt verlorene, verstümmelte Kinder, deren einzige Hoffnung ihr ungebrochener Optimismus ist.
Einmal mehr bereichert der Regisseur mit seinem Beitrag das Genre, in dem er sich bettet. Boyle bleibt bei aller Leichtigkeit immer beseelt. Dadurch erwachsen seine Genreadaptionen immer zu Dramen, die von einem Lebensgefühl und von ihrer Zeit erzählen. Boyle inszeniert ein Bollywood-Märchen mit Substanz, „Slumdog Millionär“ ist ein raues Gesellschaftsbild im Happy-End-Mantel. Das unter einen Hut zu bekommen, ist das eigentliche Kunststück. Man muss kein Bollywood-Fan sein, um das spannende Drama zu genießen. Bollywood-Fans wiederum brauchen keine Angst zu haben: Sie kommen trotzdem auf ihre Kosten – auch ohne opulente Tanzszenen. Versprochen.
(Hartmut Ernst)
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