Vor der Morgenröte
Deutschland, Österreich, Frankreich 2015, Laufzeit: 106 Min., FSK 0
Regie: Maria Schrader
Darsteller: Josef Hader, Suely Torres, Barbara Sukowa, Matthias Brandt, Aenne Schwarz, Charly Hübner
>> www.vordermorgenroete.x-verleih.de
Drama über die letzten Lebensjahre von Stefan Zweig
Wie soll man das aushalten?
„Vor der Morgenröte“ von Maria Schrader
Interview mit Regisseurin Maria Schrader
„(…) nach dem sechzigsten Jahre bedürfte es besonderer Kräfte, um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschliessen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen. Ich grüsse alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht, ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.“ Es sind die letzten Zeilen von Stefan Zweig, die der österreichische Schriftsteller am 22. Februar 1942 aus dem brasilianischen Exil der Nachwelt in seinem Abschiedsbrief hinterlässt. Danach wählt er, gemeinsam mit seiner zweiten Gattin Lotte, den Freitod. Als Zweigs Schaffen 1935 in Deutschland auf der Liste verbotener Autoren landet, ist der Autor bereits nach London emigriert, nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges bietet ihm Brasilien Sicherheit, Freiheit und die Aussicht auf eine neue Heimat. Zugleich trifft er auf Schicksalsgefährten, auf deutschsprachige Autoren, die wie er das Exil suchen. Doch Stefan Zweig bleibt schmerzhaft entwurzelt. Und er ist unter seinesgleichen ebenso unverstanden wie unter seinen neuen Gastgebern. Regisseurin Maria Schrader erzählt von einer tief traurigen emotionalen Irrfahrt eines vertriebenen, pazifistischen Europäers.
Die Essenz des Gemüts
Dafür konzentriert sich die deutsche Schauspielerin in ihrer zweiten Regiearbeit auf fünf Stationen, die Zweig zwischen 1936 und seinem Tod durchläuft. Angefangen mit einem Empfang im Jockey Club in Rio de Janeiro, gefolgt vom Schriftstellerkongress in Buenos Aires im selben Jahr, der Recherchereise mit Lotte durchs provinzielle Bahia im Jahr 1941, einem Aufenthalt in New York 1941 und der letzten Station: Petrópolis, wohin sich Zweig zurückzieht und wo er stirbt. Fünf Akte, in denen Schrader, die auch das Drehbuch verfasst hat, die Essenz zieht, das Gemüt des Künstlers szenisch verdichtet. In denen in Zweig nach seinem Heimatverlust Zuversicht auf ein friedliches Zusammenleben in Brasilien erwacht. In denen der Pazifist Zweig mit seinesgleichen aneinander gerät, die aus dem Exil polemische Schmähkritik gen Nazideutschland äußern. Eine Haltung, die ihm zutiefst widerstrebt, weil Kritik, geäußert unter Gleichgesinnten, unerhört verpufft. Und weil Zweig grundsätzlich nur „für etwas schreiben kann“ und nicht dagegen. Doch Zweig bleibt unverstanden. Auf dem Kongress ebenso wie im südamerikanischen Hinterland, wo ein Bürgermeister ihn mit einer skurrilen Blaskapelle zu ehren sucht und ein entsprechend entgleister Donauwalzer den Schmerz über das verlorene geliebte Europa vielmehr erhärtet. Zweig kommt nicht an und findet auch weder Trost noch Muße in New York, wo ihn unzählige Bittstellbriefe um Hilfe aus Europa erreichen, während er bloß eine Kammer mit einem Stuhl herbeisehnt.
Abgesehen von dem Diskurs auf dem Schriftstellerkongress, zielt Maria Schrader vor allem auf eine emotionale Annäherung jenseits des gesprochenen Wortes. Das gelingt zum einen über eine geradezu magische inszenatorische Dichte, mit der sie ihre Episoden arrangiert. Gerahmt wird das Drama durch Prolog und Epilog, die gleichermaßen von einer atemberaubenden, langen Plansequenz gebildet werden, eingefangen von der statischen Kamera. Die Akte dazwischen tauchen unvermittelt ein und aus durch die Lebensabschnitte, auch schon mal mitten in einem Satz. Das ist stilbewusst choreografiert und bleibt dabei zugleich tief ergreifend. Schrader gelingt eine überwältigende Mixtur aus kunstvoller Form und emotionaler Tiefe, sie filmt klug und erzählt dabei ganz unverkopft. Sie skizziert und trifft das Wesentliche. Das, was Schrader hier macht, ist schlichtweg erhaben.
Blicke, Blicke, Blicke
Neben der Regieleistung gelingt diese überragende Annäherung an Stefan Zweig zugleich über den Hauptdarsteller, den österreichischen Kabarettisten und Schauspieler Josef Hader. Dem Kinopublikum ist Hader ein Begriff durch die Figur des zynischen, melancholischen Ex-Polizisten Simon Brenner („Der Knochenmann“, „Das ewige Leben“). Erste Schritte außerhalb des komödiantischen Fachs gelangen ihm 2008 in „Ein halbes Leben“. Mit „Vor der Morgenröte“ beweist er nun endgültig seine Bandbreite. Blicke, Blicke, Blicke sind es, die sich auf der Leinwand einbrennen. Die hier mehr erzählen als Worte, verloren, gedämpft, verzweifelt. Apathisch und gedrungen bewegt sich Josef Hader als Stefan Zweig Richtung Freitod. Als Schriftsteller, der zwar noch schreibt, der jedoch im Alltag verstummt. Hader spielt betörend. Und Europa? Nun, wirklich wohlgefühlt hätte sich Zweig hier wohl auch heute nicht, floh er doch nach Brasilien, „nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet.“
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