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Wer wenn nicht wir

Wer wenn nicht wir
D 2011, Laufzeit: 124 Min., FSK 12
Regie: Andres Veiel
Darsteller: August Diehl, Lena Lauzemis, Alexander Fehling, Thomas Thieme, Imogen Kogge, Michael Wittenborn, Susanne Lothar, Maria Victoria Dragus, Sebastian Blomberg
>> filmverleih.senator.de/im_kino/uebersicht/wer_wenn_nicht_wir/

Annäherung an die Vorgeschichte der RAF

Das Politische ist privat
„Wer wenn nicht wir“ von Andres Veiel

„Wer wenn nicht wir“ ist ein Film über den Schriftsteller Bernward Vesper. Es ist auch ein Film über Gudrun Ensslin. Aber wir sind noch nicht da, wo alles anfängt. Zumindest nicht da, wo man im Allgemeinen anfängt, Ensslins Geschichte zu erzählen. Es ist nicht 1967, nicht das Jahr der Studentenunruhen, nicht der Tag an dem Benno Ohnesorg ermordet wird. Und es ist auch nicht die Nacht, in der Gudrun Ensslin, Andreas Baader und andere die Brandstiftung auf zwei Frankfurter Kaufhäuser ausführen, während Ensslins Kind Felix zusammen mit dessen Vater Bernward Vesper in einer Berliner Wohnung hocken. Felix ist zu klein, aber Bernward weiß, dass er Gudrun für immer verloren hat, und nun selbst ein Verlorener ist.

Umgang mit Widersprüchen

Die Filmhandlung beginnt in den frühen 60er Jahren. Bernward Vesper, Sohn des Nazidichters Will Vesper, studiert in Tübingen Germanistik und Soziologie. Dort trifft er Gudrun Ensslin, Pfarrerstochter, die ihrem Vater die Teilnahme am Krieg nicht verzeihen kann. Bald gründen die beiden Literaturbegeisterten einen Verlag. Sie wollen moderne Literatur veröffentlichen, die sie schätzen. Es erscheinen nur zwei Bücher, das Unternehmen scheitert. Parallel arbeiten sie daran, das Werk von Will Vesper wieder zu veröffentlichen. Das hatte der Sohn seinem Vater am Sterbebett versprochen. Dass Will Vesper nicht nur einer der „ärgsten nationalistischen Narren“ war – wie Thomas Mann 1936 an Hermann Hesse schrieb, sondern neben seiner Blut-und-Boden-Dichtung die Bücherverbrennung von 1933 organisierte und systematisch Kollegen denunzierte, blenden Bernward und Gudrun zunächst aus. Erst mit der zunehmenden Politisierung ihrer Generation und ihrer eigenen Involviertheit in die Politik Mitte der 60er Jahre, als sie nach Berlin gezogen sind, können sie den Widersprüchen ihres Handelns nicht mehr ausweichen. Vesper und Ensslin tun dies auf sehr unterschiedliche Art: Er versucht die Abnabelung und völlige Distanzierung von seinem Vater literarisch zu erarbeiten, Ensslin macht einen radikalen Schnitt und trennt sich von ihrer bürgerlichen Vergangenheit – einschließlich Vesper und dem gemeinsamen Kind Felix. Vespers Weg führt in die Psychatrie und 1971 schließlich zum Selbstmord. Ensslins Bruch mit der bürgerlichen Welt führt in den Terrorismus – sie stirbt 1977 im Stammheimer Hochsicherheitstrakt.

Vom Kopf auf die Füsse

Felix Ensslin, der 1967 geborene Sohn von Ensslin und Vesper, sagte im letzten Jahr in einem Zeitungsinterview, dass man die Geschichte immer rückwärts lese und ihr gewissermaßen etwas zwangsläufiges unterstelle: „Weil sie mit Toten endet, muss sie immer schon vom Tod bestimmt gewesen sein.“ Das sieht Veiel ähnlich problematisch. Er versucht, die Geschichte vom Kopf auf die Füsse zu stellen und blickt auf einen Anfang, ohne das Ende vor Augen zu haben. Damit zeigt er automatisch die vielen Momente, an denen etwas hätte anders laufen können. Und zugleich erzählt er davon, wie die Entwicklungen der Protagonisten beeinflusst sind von privaten Hintergründen, und wie viele einzelne Aspekte zusammenwirken, damit ihr spezifisches Handeln zustande kommt. Andres Veiel orientiert sich damit an Gerd Koenens 2005 erschienenem Buch „Vesper, Ensslin, Baader“. Der Dokumentarfilmer („Die Spielwütigen“) dreht erstmals einen Spielfilm, weil er potentielle Gesprächspartner nicht zum Dialog überreden konnte. Das überrascht zunächst, hat er doch mit Filmen wie „Black Box BRD“ über den RAF-Aktivist Wolfgang Grams und den Banken-Chef Alfred Herrhausen oder in „Der Kick“ über ein drastisches Gewaltverbrechen inmitten eines kleinen deutschen Dorfes bewiesen, dass er als eine Art Mediator die Leute zum Reden bringt wie kaum ein Anderer. Auch waren seine Filme rein ästhetisch bislang alles andere als gefällig. Da wundert man sich über den zuweilen recht gewöhnlichen Stil der Inszenierung seines Spielfilmdebüts: Die Ausstattung gibt den Zeitcholorit akkurat wieder, und es gibt Szenen, die erscheinen plakativ. Außerdem ist der Film durch eingestreute Dokumentaraufnahmen, die den Protagonisten inhaltlich und topografisch immer näher kommen (von Atomtests in den USA über den Vietnamkrieg und den Schah-Besuch bis zur Kaufhausbrandstiftung), gegliedert. Sie geben dem Zuschauer eine historische Orientierung und werden mit zeitgenössischer Popmusik unterlegt. Das alles ist für Veiels Verhältnisse ziemlich simpel angelegt. Sicherlich ist diese Hinwendung zum Mainstream nicht nur dem Wunsch, ein großes Publikum mit dem Thema zu erreichen, geschuldet, sondern auch ökonomischen Zwängen derartiger Großproduktionen unterlegen. Auf dieser Ebene erzählt er nichts Neues, und es gibt sogar Szenen, die in ihrer Machart auch in Uli Edels Action-Drama „Der Baader-Meinhof-Komplex“ gepasst hätten. Doch Andres Veiels Zugriff über das Private bringt einiges in Bewegung. Mit Hilfe der großartigen Darsteller – allen voran August Diehl, Alexander Fehling und die Neuentdeckung Lena Lauzemis – macht der Film die Figuren als Menschen sichtbar und inszeniert nicht nur ihren eigenen Mythos. Der Action und dem lauten Drama verweigert sich Veiel bis zuletzt. Der Film endet, wenn Uli Edels RAF-Spektakel beginnt.

(Christian Meyer)

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