Bochum, 5.12. – Zum vierten Mal fanden im Endstation Kino die Bochumer DEFA-Filmtage statt. Passend zum 25. Jubiläum der Mauerfalls standen vom 3. bis 7. Dezember fünf Filme im Mittelpunkt, die die historischen Veränderungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet haben. Gerd Kroske, bekannt durch seine Kehraus-Trilogie, war mit dem ersten Teil eben jener Trilogie sowie mit der Dokumentation „La Villette“ im Langendreerer Programmkino zu Gast und berichtete über Werdegang, Sichtweisen, Drehvoraussetzungen eines DEFA-Regisseurs in Zeiten des Umbruchs.
Eigentlich wollte Kroske die ganze Arbeit mit dem Medium Film schon an den Nagel gehängt haben. Die Arbeit als Autor am DEFA-Dokumentarfilmstudio erschien ihm in vielen Momenten zu absurd. Doch einer seiner Vorgesetzten drängte ihn, den studierten Kulturwissenschaftler, der als Externer die Filmhochschule besuchte, in Leipzig zu recherchieren und Material für einen Film zusammenzustellen. Das war im Spätsommer 1989. Er lernte dort Straßenkehrer kennen, Menschen mit bewegter Lebensgeschichte, die auf Zuruf arbeiteten und pro Schicht bezahlt wurden. Ein System, von dem er glaubte, dass es in der DDR nicht existiere. Da sich die Ereignisse in Leipzig jedoch überschlugen, drehte er recht spontan „Leipzig im Herbst“. Doch statt sich danach seinem eigentlich Filmprojekt über die Straßenkehrer zuwenden zu können, rief ihn schon ein großes Projekt nach Paris. Der Mauerfall machte es möglich: Künstler der DDR wurden vom französischen Kulturminister Jacques Lang zu einer eigenen Ausstellung in einem ehemaligen Schalchthof eingeladen. Regisseur und Maler Jürgen Böttcher sollte diese Ausstellung dokumentieren, doch aufgrund dessen Doppelbelastung fiel die Regie überraschend und inoffiziell Kroske zu.
Die ganze Zeit in Paris, der Dreh und die abschließende Filmabnahme durch das DEFA-Studio gestaltete sich unglaublich spannend, berichtete der Regisseur im Endstation Kino. Die Technik und das Auto bekamen sie von einem DKPler in Düsseldorf, der eine Dependance des DEFA-Studios darstellte. Der fühlte sich offensichtlich von den jungen Filmemachern, die ganz heiß aufs Autofahren waren, überrumpelt, kannte er doch nur die alten, ernsten Köpfe. Paris als Stadt war für Kroske überwältigend, weshalb das Filmteam auch immer wieder Gründe vorschub, die Drehzeit in Paris zu verlängern. Schwieriger gestaltete es sich, aus einer komplexen Ausstellung eine einzige Dokumentation zu schneiden, die dramaturgisch stimmig, aber nicht zu selektiv war. Mit der Schnittmeisterin hatte er sich hauptsächlich angeschrien, sinnierte Kroske. Die große Enttäuschung folgte aber bei der Abnahme: Sequenzen aus George Franjus Film „Le san de betes“, die sehr drastisch den Betrieb des ehemaligen Schlachthofs dokumentierten und die er in seinen eigenen Film reingeschnitten hatte, sowie die Tatsache, dass nicht Boettcher, sondern er den Film gedreht hatte, führten zu einem wahren Skandal. Letztendlich verließ das Filmteam wutschnaubend die Abnahme, und der Film wurde bis auf ein einziges Mal beim französischen Kulturzentrum nie gezeigt.
Während „La Villette“ die positiven Auswirkungen des Mauerfalls für die Künstler zeigte, fokussierte Kroske sich mit seinem zuerst geplanten Projekt „Kehraus“ dann im März auf die Menschen, die vom Mauerfall nicht profitierten, sondern letztlich verloren. Die zu Beginn eingespielte öffentliche Rede Kohls in Leipzig und die Begeisterungsstürme der Menge stehen im Kontrast zu der einfachen Arbeit der Straßenkehrer, die den Dreck der Veranstaltung entsorgen. Nach diesem Film stand er auch weiterhin mit den Kehrern für die zwei weiteren Filme im Kontakt. Doch ihr Leben hatte sich selten zum Positiven verändert. Mit der Einführung des Öffentlichen Dienstes flogen zunächst die Alkoholabhängigen aus der Truppe raus, weitere folgten. Heute lebt von den Kehrern nur noch die Hälfte, wusste Kroske zu erzählen.
Abgesehen von dieser Tragik war es reizvoll zu dokumentieren, wie sich durch die Entstehung eines neuen Landes die städtische Landschaft veränderte, so Kroske. Und das ungeheuer schnell. Selbst die Geräusche änderten sich, gab es doch vorher zum Beispiel keine Bierdosen, die über den Boden schrappen konnten.
Am meisten interessierte die Zuschauer, wie Kroske seine persönliche Freiheit als Regisseur in der DDR empfand. Ausreise aus der DDR war immer ein großes Thema in seinem Freundeskreis in den 80ern, erinnerte sich Kroske, und viele haben die DDR tatsächlich verlassen. Doch nicht alle konnten gehen, war damals seine Meinung, zumal seine Ausreise für seine Eltern, Lehrerin und Professor, Konsequenzen gehabt hätte. Er selbst hatte nicht einmal großes Interesse an der BRD gehabt, fremde Kulturen wie Mexiko hätte er spannender empfunden. Aber natürlich war auch er erleichtert über die Wende, da sie ihm für seine Arbeit viel mehr Möglichkeiten und Freiheiten gebracht hatte. Die Einschränkungen seitens des DEFA-Studios hätten allerdings auch eine ganz eigene Bildsprache der damaligen Filme hervorgebracht. Boettcher hatte ihm damals den Tipp gegeben, einen „weißen Elefanten“ vor der Abnahme in den Film einzubringen, etwas worauf sich die Verantwortlichen sofort stürzen würden und zensieren würden, während er das eigentlich Kritische über die Bildsprache vermittele. So hätten sie ihren Sieg und er die eigentlich kritische Szene.
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