Bochum, 18. Juni – Es sind 2850 km von Mohameds Dorf in Mali bis nach Europa. Die Reise dauerte jedoch nicht einige Monate, wie er ursprünglich dachte: Nach drei Jahren ist der junge Mann immer noch nicht am Ziel. Miriam Faßbender begleitete mit der Kamera Mohamed und andere Wirtschaftsmigranten aus Afrika drei Jahre lang auf der Flucht. Im Endstation.Kino im Bahnhof Langendreer stellte sie ihren Dokumentarfilm „Fremd“ persönlich vor. Erst bei den Dreharbeiten sei ihr letztlich klar geworden, welch ein Privileg es sei, im reichen Europa geboren zu sein. 100 km weiter südlich, und dein Leben würde völlig anders verlaufen. Mit einer Mischung aus Scham und Wut beschreibt Faßbender im engagierten Filmgespräch ihre Gefühle in Bezug auf die europäische Asylpolitik.
Mohamed habe sie als Protagonist für ihren Film besonders interessiert, weil er seine Heimat eigentlich gar nicht verlassen will, und so bleibt er über die Jahre der Reise im Zwiespalt. Es ist seine Familie, die wertvollen Besitz verkauft hat, und ihn als Erstgeborenen mit dem Familienvermögen auf die Reise schickt, um für ihre Zukunft zu sorgen. Ein unmögliches Unterfangen. Der Film zeigt Szenen einer Reise, die meist aus Stillstand und endlosem Warten besteht. „Wirst Du überleben? Wirst Du ankommen? Werden sie Dich abschieben?“, sind Fragen, die wie ein Mantra über den Flüchtlingen hängen. Monatelang dauert es, bis genug Geld zusammengekratzt ist, um die nächste Etappe in Angriff zu nehmen. Oft gibt es als Unterkunft nicht mehr als ein völlig überfülltes Zimmer oder eine Plastikplane. Solche Notbehelfe werden dann häufig genug von der Polizei oder Anwohnern zerstört. Immer und überall droht die Abschiebung. Die Migranten – mal allein unterwegs, mal in Gruppen – werden zu Experten für mögliche Passagen und Schlupflöcher in der Festung Europa. „Sobald sie eine Route dicht machen, werden die Migranten eine neue auftun“, meint einer der jungen Männer in einem provisorischen Camp in einem algerischen Wald. Doch die Opfer, die jeder einzelne bringen muss, sind hoch. Und die Trauer und das Trauma über den Tod so vieler Gleichgesinnter sitzen tief.
„Diese Leute könnten meine Nachbarn in Berlin sein“, stellt Faßbender fest, „doch die europäischen Wirtschaftsinteressen verhindern das.“ Leichter wäre es für sie gewesen, 2000 Euro aufzutreiben und eine Überfahrt für einen Migranten zu zahlen. Aber für wen, wenn es so viele tolle Leute gibt, stellt Faßbender als Frage in den Raum. Für sie war von Anfang an klar, dass sie auf diese Art nicht helfen kann. Die Hoffnung bleibt, dass sie mit dem Film im besten Fall am meisten bewirkt. Mohamed hat es letztlich nicht geschafft, nach Europa zu gelangen. Aber mit dem Erlös von Preisgeldern auf Festivals durch den Film, konnte er seinen Führerschein machen und hat nun ein Auskommen.
Positiv wurde im Gespräch herausgestellt, dass sich in den letzten Jahren eine Refugee-Bewegung entwickelt hat und die Migranten jetzt eigenständig auf die unhaltbaren Zustände aufmerksam machen. Auch die Medien seien nach Faßbender bei dem Thema differenzierter geworden. Die Wut und Ratlosigkeit über den „institutionalisierten Rassismus und die Bürokratie“ in Europa sind groß. Endlich angekommen in Europa, werden die Flüchtlinge erneut ausgebremst, und wieder heißt es warten: auf eine Aufenthaltsgenehmigung, eine Arbeitserlaubnis oder andere Formalitäten.
Der Filmabend wurde in Kooperation mit dem Zentrum für Mittelmeerstudien organisiert im Rahmen der Filmreihe Flucht über das Mittelmeer, der im Juli noch zwei Veranstaltungen im Endstation.Kino folgen.
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