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Foto (Ausschnitt): Nathan Dreessen

Zeiten(w)ende?

19. Juni 2024

„Gedichte für das Ende der Welt“ von Thomas Dahl – Lyrik 06/24

Die Apokalypse hat gerade Hochkonjunktur: Krisen, Kriege und Katastrophen wohin man schaut, Weltuntergangsstimmung als Lebensgefühl einer Generation, die sich in Teilen selbst(bewusst) als die letzte bezeichnet. In seinem Lyrikband „Gedichte für das Ende der Welt“ spürt Thomas Dahl dem Gefühl der Angst nach. Der Countdown läuft: „Neunhundert Sekunden / Bis zum Ende der Welt“, sagt eines der Gedichte vorher. Diese Galgenfrist wird allerdings weder genutzt, um den drohenden Untergang abzuwenden, noch, um sie mit Mitmenschlichkeit zu füllen, sondern, „um noch schnell ein paar Erfolge einzufahren / Konkurrenten auszuschalten / Andersdenkende zu schinden / neue Schandmale zu erschaffen / noch auf den allerletzten Runden / So viel Tod wie möglich aufzubahren.“

Dennoch ist die Lage nicht völlig aussichtslos, auch wenn noch nicht klar ist, was nach der „Stunde Null“ kommt. In dem Gedicht „In Love with Zero“ feiert der Autor die Null als Zahl der potenziell unbegrenzten Möglichkeiten: „Für Positiv-Gesinnte / Immer Raum nach oben / Mit 1A-Ausblick in den Abgrund.“ Unbegrenzte Möglichkeiten bietet für Thomas Dahl jedoch vor allem die Sprache. Gerade in der formalen Beschränkung auf Wörter mit dem gleichen Anfangsbuchstaben entfaltet er in dem Gedicht „Worte wie wir“ die Wirkmacht einer Sprache, die Berge versetzen könnte.

Laut der biblischen Genesis waren es angeblich Worte, die die Welt und alle Geschöpfe ins Leben riefen. Warum sollte dann ihr Untergang schweigend vonstattengehen? Thomas Dahl hat mit seinen 50 Gedichten keine lyrische Begleitmusik unserer ebenso krisengeschüttelten wie untergangsverliebten Gegenwart geschrieben, sondern ein intensives und manchmal schmerzhaftes Anschreien und Anflüstern gegen Grabesruhe und falsches Schweigen, ein Plädoyer für das Wort, das Gewicht hat, weil es erschafft und vernichtet, segnet und verflucht. Doch wie sieht es nach der Apokalypse aus? Spricht dann noch jemand in die Totenstille hinein – und welche Worte hätten die Kraft, nicht einfach denselben Teufelskreis von vorne beginnen zu lassen? Bei Thomas Dahl klingt das so: „Wer fegt dann die Reste fort? / Wer fügt sie an den neuen Anfang? / Wehe dem ersten / Und wehe auch dem letzten / Wort.“

Gedichte für das Ende der Welt | Twentysix Epic | 118 S. | 14 Euro

Priska Mielke

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