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„Heinrich“-Premiere im Mai in Oberhausen
Foto: Theater Oberhausen

Heinrich und Margot

28. März 2013

Zwei Leben im Kopf der anderen – Theater am Rhein 04/14

Manchmal spiegelt das Theater die Oberfläche unter der Oberfläche wider. Figuren werden dem historischen Kontext entrissen oder gleich in ihrer Gänze generiert. Der englische König Heinrich V. ist so ein Beispiel. Shakespeare erzählt seine (mögliche) Geschichte in drei gewaltigen Dramen, die im Mai im Theater Oberhausen zum sogenannten Heinrich-Abend zusammengefasst werden. Die Geschichte beginnt in der schwierigen Regierungszeit seines Vaters Heinrich IV., der seinen Vetter Richard II. vom Thron gestürzt hatte. Konflikte mit dem Parlament und der Geistlichkeit, die Rebellion der Barone zehren an seinen Nerven, und der Sohnemann Prinz Heinz zieht lieber weit weg mit dem zweifelhaften Sir John Falstaff durch die Wirtshäuser. Als sein Vater ihm ins Gewissen redet, bequemt sich der Prinz und zieht mit ihm in die Schlacht von Shrewsbury. Die Aufständischen werden niedergeschlagen. Prinz Heinz besiegt im Zweikampf Percy, Sohn vom Grafen Northumberland. Der sinnt auf Rache, Falstaffs Treiben in London nimmt immer haltlosere Züge an, Heinrich immer mit. Dann stirbt sein Vater, und Heinz wird Heinrich V. Mit neuem Hobby: Krieg gegen Frankreich. Es beginnt der dritte Teil der alten Saga: die Schlacht von Azinxourt am 25. Oktober 1415. Wider Erwarten gewinnen die Engländer zwar das Massaker, doch Heinrich verliert sein Herz an die schöne Catherine, die im fünften Akt weiß, wie die Männer ticken: „Oh, Lord! Die Zungen der Männer sind voll von Betrug“. Logisch, Hauptsache es gibt genug Soldaten, die sich schlachten lassen.

Ganz anders Margot Maria Rakete (nicht verwandt mit Jim Rakete). Auch sie kennt zwar die Extreme, hat aber im Gegensatz zu Heinrichs kriegerischem Fußvolk einen schier unzerstörbaren Körper. Margot Maria Rakete ist ein Avatar, besteht aus rund neunzig Einzelteilen, ist annähernd 5.000 Jahre alt, und ihr Leben ist so vielfältig, dass es sich unmöglich nacherzählen lässt, außer natürlich, auch Shakespeare wäre digital verfügbar. Dennoch explodiert und zieht sich ihr Körper zusammen, kristallisiert und zerfließt am Grund, er windet sich in kollektiver Sehnsucht nach Einheit und Zerstreuung, nach Zusammenhalt und Abgrenzung. Immerhin hat sie der Dortmunder Sprechchor aus den Biographien seiner Mitglieder heraus programmiert, und so hat Margot Maria Rakete eine Stimme wie ein antiker Schrei bekommen, mit Blubbern und Brausen aus den ersten Tagen der Menschheit. Ein ungeheuerliches Flüstern und markdurchdringendes Klagen, aber auch ein dionysisches Lachen des Weins, des Glücks und der Liebe. Margot Maria Rakete hat ein Leben, das jede Chronologie Lügen straft: Gestern, heute und morgen folgen nicht mehr aufeinander, nur was ist virtuell und programmiert, und was geschieht wirklich in der Kollektivsimulation? Der Dortmunder Sprechchor ist das 17. Ensemblemitglied am Schauspiel Dortmund. Seit Mai 2011 proben annähernd 100 Dortmunder Bürgerinnen und Bürger gemeinsam mit Schauspieler Christoph Jöde und Dramaturg Alexander Kerlin. Mit „Das phantastische Leben der Margot Maria Rakete“ wird nun erstmals ein abendfüllendes Stück entwickelt, bei dem der Chor als Protagonist auf der Studiobühne steht.

„Heinrich“ I Premiere: 24.5. I Theater Oberhausen I 0208 857 81 84
„Das phantastische Leben der Margot Maria Rakete“ I Premiere: 1.6. I Theater Dortmund (Studio) I 0231 502 72 22

PETER ORTMANN

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