Anselm Kiefers monumentales Bild „Deutschlands Geisteshelden“ (1973), auf das man in der Küppersmühle frontal zuläuft, ist ein Schlüsselwerk dieser Ausstellung. Trotz seiner graphischen Wirkung mehr Malerei als Zeichnung, zeigt es eine riesige Dachkammer, die perspektivisch in die Tiefe fluchtet. Die brennenden Fackeln an den Seiten sind die einzige Farbigkeit im Bild. Das Gebälk schließt den Raum atmosphärisch dicht und hermetisch zusammen, als konserviere er ein Geheimnis für die Ewigkeit. Oben, über den Dachbalken ist von Hand der Titel geschrieben, unten, auf den Bohlen stehen klein die Namen von „Geisteshelden“ des 19. Jahrhunderts wie Hölderlin, Böcklin, Stifter. Dazwischen als einziger Künstler der Gegenwart: Joseph Beuys. – Für Kiefer ist Beuys der bedeutendste Künstler des 20. Jahrhundert; zu ihm ist er 1971 aus dem Odenwald nach Düsseldorf gefahren und fühlte sich von ihm bestätigt. Beuys wurde für Kiefer (der zuvor an der Karlsruher Akademie studiert hatte) zum Lehrer und Mentor, ohne dass sich die beiden oft sehen mussten … Umso mehr überrascht es, dass die zwei Künstler, die mit ihren Ausstellungen in Amerika wesentlich zur internationalen Etablierung der deutschen Kunst beigetragen haben, noch nie in einer dialogischen Ausstellung präsentiert wurden. In der Küppersmühle wird dies nun anhand von Arbeiten auf Papier nachgeholt.
Für die Rezeption des Werkes von Anselm Kiefer sind Zeitpunkt und Ort ideal. Kiefer stellt derzeit umfassend in der Bundeskunsthalle in Bonn aus – mit Werken aus der Sammlung Grothe und kuratiert von Walter Smerling – und im Museum Küppersmühle in Duisburg befinden sich im zweiten Obergeschoss permanent die vier kapitalen, wandfüllenden Materialbilder der Reihe „Sternenlager“ (1998). Anselm Kiefer erweist sich hier als Künstler der großen Geste und des Pathos, der mit viel Aufwand monumentale Werke schafft, die von der deutschen Geschichte und deren Mythologie handeln. Die Malerei ist in dicken Schichten aufgetragen, aber sie ist auch außerordentlich feinteilig. Auf etlichen dieser Bilder sitzen noch Schlacke, Pflanzen, Holz oder Stücke aus Blei. Zumal vor dieser Erfahrung – und mit den riesigen, schweren Installationen und den viele Meter langen Bildern, die es in Bonn zu sehen gibt, im Kopf – konzentriert sich nun die Ausstellung im Erdgeschoss der Küppersmühle auf die im Format moderaten Papierarbeiten von Anselm Kiefer, die freilich immer noch präsenter als die Blätter von Joseph Beuys auftreten. „Eine Konfrontation, die keine Konfrontation ist“, sagten Walter Smerling und Götz Adriani als Kuratoren bei der Pressekonferenz, an der Anselm Kiefer selbst nicht teilnahm. Immerhin soviel: Die Ausstellung, die er mit arrangiert hat, verstehe Kiefer als Ehrung für Joseph Beuys.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Eingeleitet mit Künstlerbüchern, die sich oft aus Fotografien zusammensetzen, konzentriert die Ausstellung einzelne Werkblöcke im steten Wechsel der Künstler. Für Beuys ist die Zeichnung auf Papier ein wesentliches Medium. Im Zentrum von Kiefers Schaffen steht von Anfang an das Künstlerbuch, als Prozess der Veränderung im Umblättern und des „buchhalterisch“ Archivarischen – dies führt dann zu seinen Plastiken aufeinander getürmter Bleibücher.
Das Blatt Papier selbst ist bei Kiefer ganz mit Malerei besetzt. Schon um 1970 legt er auch bei den Papierarbeiten eine sogartige landschaftliche Weite an. Die deutsche Geschichte mit der christlich-jüdischen Kultur ist bereits Thema. In dieser Zeit entstehen auch die fotografischen „Heroischen Sinnbilder“, bei denen er an historisch aufgeladenen Orten den Hitlergruß aufführt und dadurch den Umgang mit unserer Vergangenheit und dem Holocaust thematisiert.
Beuys ist in der bildnerischen Umsetzung ganz das Gegenteil. Seine Maßnahmen auf dem Blatt sind zart, oft mit Bleistift in prozesshafter Vervollkommnung begriffen. Das Papier wird zum Informationsträger, es ist billig, angeschnitten, und die Figur ist in es hinein gesetzt, Farbigkeit findet sich kaum. Trotzdem sind die Darstellungen autark und elaboriert. Die Kunst von Joseph Beuys (1921-1986), der 1961 auf den Lehrstuhl für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf berufen wurde, basiert auf der anthroposophischen Lehre; er hat diese mit seiner Biographie und den Riten von Naturvölkern verwoben und in alchimistisch anmutenden Prozessen plastisch umgesetzt. Diese individuelle Mythologie hat Beuys mit einem außerordentlichen politischen Engagement verbunden. Von all dem aber unterscheidet sich Anselm Kiefer (geb. 1945) entschieden. Kiefer, der mit seinem Atelier 1993 in das südfranzösische Barjac übergesiedelt ist und seit 2007 in Paris lebt, vertritt die radikale Position des Künstlers, der zur Gesellschaft auf Distanz bleibt und an seiner Vision arbeitet. Er bildet das solitäre Zentrum eines Netzes aus Mythen unterschiedlicher Völker und Kulturen. Aber Kiefer geht es wie Beuys immer ums Ganze, um die Existenz des Menschen in der Welt und seine Einrichtung in der Schöpfung. Im übertragenen Sinne teilt das auch das Bild „Deutschlands Geisteshelden“ mit: Sowohl Kiefer als auch Beuys begeben sich in ihrer Kunst auf eine Spurensuche jenseits ausgetretener Pfade; beide definieren den Umgang mit Geschichte neu und arbeiten dazu mit der Verletzlichkeit der Oberfläche. Sie entwickeln hoch komplexe mythisch und mystisch aufgeladene Philosophien und werden damit zu kompromisslosen Forschern, denen man mitunter nur schwer folgen kann. Wie gut, dass es diese Ausstellung gibt.
„Joseph Beuys und Anselm Kiefer. Zeichnungen – Gouachen – Bücher“ I bis 30. September I Museum Küppersmühle, Duisburg I www.museum-kueppersmuehle.de
„Anselm Kiefer – Am Anfang“ I bis 16. September I Bundeskunsthalle Bonn
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