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„Im Dickicht der Städte“
Foto: Arno Declair

Im abgesicherten Modus

28. Februar 2013

Bochum verirrt sich in Brechts „Dickicht der Städte“ – Theater Ruhr 03/13

Brecht als Lückenbüßer für Ibsen, das hat schon seine eigene Komik. Weil sich Jana Schulz, die Hauptdarstellerin in „Hedda Gabler“, schwer verletzt hat, musste Ersatz her. Nicht eine neue Schauspielerin, sondern gleich ein neues Stück. „Im Dickicht der Städte“ bot sich an, das Regisseur Roger Vontobel im vergangenen Jahr bereits am Pariser Théâtre de la Colline inszeniert hatte. In Bochum nun malt er die prekäre Existenz des George Garga (Florian Lange) kräftig aus. Der jobbt in einer Videothek und trägt ein rotes, labbriges Unterhemd zu Jeans; seine Tahiti-Träume lebt er in einer Bar mit Fototapete aus und wälzt sich auch mal nackt auf der Bühne. Seine Eltern wiederum sind mit Körperpolstern aufgedunsene Fettsäcke, die Chips tütenweise fressen und empört herumbölken. Armut ist offenbar nur noch als ihr eigenes Hartz IV-Klischee zu haben. Der Reichtum des reichen Holzhändlers Shlink wirkt da etwas rätselhafter.

Matthias Redlhammer mit grauer Kurzhaarfrisur und im schwarzen, priesterlich hochgeschlossenen Anzug, spricht mit leiser Stimme und wohlgesetzten Argumenten; ein intellektueller Feingeist, der sich allerdings von halbseidenen Elementen in Netzhemden und kitschigen Anzügen plus Goldkettchen begleiten lässt. Shlinks unmoralisches Angebot, Garga seine Ansichten abzukaufen, hat schon fast kafkaeske Qualität: Der kleine Angestellte läuft Amok im Hamsterrad seiner eigenen Ungläubigkeit, seiner Angst und Empörung, bevor er sich dann doch in diesen „Kampf zweier Männer in der Riesenstadt Chicago“ stürzt, wie das zwischen 1921 und 1926 in zwei Fassungen entstandene Stück im Untertitel heißt. Arm gegen Reich, Körperlichkeit gegen Intellektualität, Ahnungslosigkeit gegen Strategie – Vontobel sortiert den Konflikt der Widersacher von Beginn an nach recht einfachen Oppositionen.

In Shlinks Loft mit seinen Lederpolstern hängen an ein paar Wandplatten LED-Lämpchen, die die städtische Topographie (Bühne: Claudia Rohner) nachzeichnen und später einfach krachend herunterstürzen. Was bleibt, ist ein Trümmermeer à la Caspar David Friedrich. Die Romantisierung und Zitathaftigkeit des Konflikts liegt bei Vontobel immer in Reichweite, wozu auch der Musiker Daniel Murena mit melancholischen Balladen beiträgt. Garga setzt seine Autorität unsicher fuchtelnd mit der Pistole durch. Er inszeniert schmutzige Holzgeschäfte, schaut zu, wie seine Schwester Marie (Maja Beckmann) versteigert wird, oder feiert gutbürgerlich Hochzeit mit Freundin Jane (Nadja Robiné) unterm violetten „Sweet Home“-Baldachin. Schale Träume von Bürgerlichkeit. Währenddessen nistet sich der Malaie Shlink in dessen Familie ein und zeigt seine schmutzverzierte Brust: angemaßtes Proletariertum. Die Symmetrie des Konflikts und seine Vorhersehbarkeit bis zu Gargas Verbandelung mit einem rassistischen Demagogen lässt Vontobels Inszenierung wie im abgesicherten Modus abschnurren. Das Ungereimte und Unfertige des Stücks ist verschwunden. Am Ende tollen Garga im Adams- und Shlink im Affenkostüm über die Bühne – wild und urwüchsig war an diesem Abend nur die Symbolik des Schlussbilds.

„Im Dickicht der Städte“ von Bertolt Brecht | R: Roger Vontobel | Schauspielhaus Bochum | 10. (19 Uhr)/16./29.3. 19.30 Uhr | www.schauspielhausbochum.de

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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