Die Ehre des Libertins ist extrem empfindlich. Dass man den Gott des Sexus nicht kränken darf, ist eh klar. Noch fataler aber wäre, den Glauben des Libertins an seine erotomane Allmacht in Frage zu stellen. Ein Sakrileg, schiere Blasphemie. Die Marquise de Meurteuil und der Vicomte de Valmont sind emotionale Terroristen, die keine Gnade kennen und ihre Opfer gnadenlos vernichten – oder sie zu Parteigängern machen. Zum Beispiel die ahnungslose Cécile (Berina Musa), ein kleiner Wonnepropen in Rosa mit verschliffener Diktion, ein bisschen Scarlett Johansson in jungen Jahren, die nur Augen für den bestussten Beau Danceny (Thieß Brammer) hat. Nachdem Valmont sich als Postillon d’Amour in ihr Vertrauen eingeschlichen hat, vergewaltigt er sie eines Nachts und wird ihr Privattrainer in Sachen Sex. Als Brandzeichen drückt er ihr einen blutigen Handabdruck auf Mund und Körper. Und die Merteuil macht Cécile klar, dass sie in Zukunft jeden Mann auf jede Art haben kann – was Cécile zur Parteigängerin der Libertins macht.y
Choderlos de Laclos‘ 1782 erschienene Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ ist keine zotige Schwarte oder Wichsvorlage für Intellektuelle. Getrieben von aufklärerischem Erkenntnisdrang analysiert das Buch mit eiskaltem Blick die Mechanik des Gefühls und die Möglichkeiten seiner Steuerung und Manipulation. „Ich wollte nicht genießen, ich wollte wissen“, sagt die Merteuil. Christopher Hampton hat daraus ein Theaterstück gemacht, das Lily Sykes auf die Oberhausener Bühne gebracht hat. Das Publikum, nach Geschlechtern getrennt, sitzt um eine Arenabühne, die mit Vorhängen verschlossen werden kann. Die Regisseurin scheucht ihr Personal anfangs noch in Krinolinen und Allongeperücken über die Bühne, bevor sich alle (bis auf Cécile) in elegantes Partyoutfit kleiden. Sykes wählt die Partymetapher allerdings nur, um eine Geschichte von Macht, Manipulation und emotionaler Leere zu erzählen.
Inwieweit die „Liebschaften“ auch als Geschlechtertypologie taugen, an deren Ende fast alle Frauen mit blutigen Händen gebrandmarkt sind, sei mal dahingestellt. Merteuil (Elisabeth Kopp) und Valmont (Henry Meyer) sind jedenfalls kein einträchtiges Duo infernal. Als früheres Liebespaar tragen sie einen Wettkampf aus. Valmont, der mit angegrauter Nonchalance wie Dieter Meier von Yello aussieht, hat sich die religiöse Madame de Tourvel als Opfer ausgesucht – für eine Nacht mit der Merteuil, die im kleinen Schwarzen mit kalter Souveränität aus der Deckung einer Witwenschaft heraus agiert. Die Tourvel der Angela Falkenhan manövriert sich Stück für Stück in die emotionale Abhängigkeit, unterwirft sich, kündigt ihre Ehe auf – bis Valmont sie eiskalt fallenlässt, obwohl er sich in sie verliebt hat. Die Merteuil hält nur mühsam ihre Eifersucht im Zaum, kapert sich Danceny, den ihr dann Valmont wegnimmt – am Ende stehen beide gebrochen da, emotional leer, einsam, aber ideologisch treu. Im so virtuosen wie brutalen Spiel der „instrumentellen Vernunft“ gibt es nur Opfer
„Gefährliche Liebschaften“ | R: Lily Sykes | Do 2.3. 19.30 Uhr, So 12.3. 18 Uhr | Theater Oberhausen | www.theater-oberhausen.de
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