Eigentlich steht der deutsche Film in der breiten Öffentlichkeit nicht gut da. Viele Dialoge laufen in etwa so ab: „Hast du schon Film xy gesehen?“ – „Nö, das ist doch ein deutscher Film. Die sind mir zu langweilig.“ Ausnahmen scheinen Til Schweiger-Komödien und aufwändig produzierte Filme wie „Pina“ zu sein. Doch der Schein trügt, denn einem gewissen Publikum scheint durchaus etwas an Produktionen aus Deutschland zu liegen. So finden im Jahr mehrere Festivals statt, die ihren Fokus auf deutsche Filme legen. Im Juni ging das „Festival des deutschen Films“ in die siebte Runde, und erst kürzlich endete das „Kinofest Lünen, das Festival für deutsche Filme“. Am renommiertesten und am meisten in den Medien vertreten sind in diesem Bereich jedoch die Hofer Filmtage, die dieses Jahr vom 25.-30. Oktober stattfanden.
Wie jedes Jahr trafen im Vorfeld der Filmtage bei Heinz Badewitz, seines Zeichens Festivalleiter, Hunderte von Einsendungen ein: Langspielfilme, Dokumentationen, Kurzfilme von überwiegend jungen Regisseuren, die ihre Erstlingswerke vor gespannter Öffentlichkeit präsentieren möchten. Herr Badewitz wählte aus und gab 74 Langfilmen und 28 Kurzfilmen die Gelegenheit, vor großem Publikum zu laufen sowie mit einem der vier Preise in Hof ausgezeichnet zu werden. Aber nicht nur auf Filme sollte das Publikum treffen sondern auch auf Filmschaffende, die zum Gespräch einluden. Und auch wenn alle Gäste in Hof wichtig und ernst genommen wurden, ragte doch einer heraus: David Mackenzie. Dem britischen Regisseur, der durch Kurzfilme und Dokumentationen bekannt wurde, wurde der Samstag Nachmittag gewidmet. Nach einigen seiner Kurzfilme, die sich durch innovative Erzählweise und Bildführung ausweisen, stand Mackenzie Interessierten Rede und Antwort.
Die filmischen Beiträge der Filmtage weisen sich durch politische Lage und Stimmung aus. Sowohl die Probleme, die die Globalisierung mit sich bringt, als auch die kleine, von persönlichen Problemen dominierte politische Welt finden ihren Eingang. Die beiden Preisträger des „Förderpreis Deutscher Film“ stehen exemplarisch für das diesjährige Programm. Das Drama von Maggie Peren „Die Farbe des Ozeans“ wurde für das beste Szenenbild (Julian Wagner) prämiert, Lars Petersen wurde für seine Arbeit als Kameramann bei „Bastard“ ausgezeichnet. „Die Farbe des Ozeans“ ist in Spanien angesiedelt und spielt mit und auf mehreren Ebenen. Die Touristin Nathalie hilft ohne zu überlegen afrikanischen Flüchtlingen, einem Vater mit seinem Sohn. Der Polizist, der auf harte Weise mit den Flüchtlingen umgeht, verweigert seiner abhängigen Schwester seine Hilfe. Nathalies Beziehung zu ihrem Mann bekommt aufgrund ihrer spontanen Hilfsaktion Risse. Und auch das Vater-Sohn-Verhältnis der beiden Flüchtlinge gestaltet sich neu. All die Handlungsstränge kumulieren in einem immer dichter werdenden Drama mit bestechenden Bildern. Kleine Geschichten in einem großen Zusammenhang. Mit „Bastard“ dagegen erzählt Regisseur Carsten Unger die große Geschichte verratener Kinder in einer spezifischen Welt. In seinem Thriller versucht die Polizeipsychologin Claudia Meinert, gespielt von Martina Gedeck, das spurlose Verschwinden des Schülers Leon aufzudecken und stößt dabei auf zwei Kinder, die an den Erwachsenen für deren verlogenes Verhalten Rache nehmen wollen. Es entwickelt sich ein perfides Katz und Maus-Spiel, bei dem sich Enttäuschung sowie Machtlosigkeit breit machen und bei dem alle Beteiligten nur verlieren können. Für lockere Stimmung in Hof sorgte dagegen Peter Kern, der Schauspieler und Regisseur, der mit Schlingensief und Fassbinder arbeitete und stets die Grenzen der Kunst auslotete. Für den Filmpreis der Stadt Hof bedankte sich Kern, witzelte und beklagte doch den unzureichenden Biss der neueren deutschsprachigen Filme.
Sollte die breite Öffentlichkeit also Recht haben mit ihrer Meinung über den „langweiligen deutschen Film“ oder ist dieses Urteil nicht zu hart und ungerecht? Sicherlich, es wird auch viel „Mist“ geboten. Jedoch beweisen die Beiträge der Hofer Filmtage wie auch die des Kinofestes Lünen, dass auch der deutsche Film immer wieder bereit ist, neue Wege zu finden und einzuschlagen. Und: Auch in Hollywood ist ganz bestimmt nicht jeder Schuss ein Treffer.
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