A-Capella-Gesang – das Wort weckt Assoziationen an locker-flockige Belanglosigkeiten wie die Prinzen, die Wise Guys oder Pitch Perfect. Beschwingte Rhythmen, ein wenig Percussion-Dubidu und vielleicht eine Nuance Beatboxing. Dass aber ein vielstimmiger Gesang auch atmosphärische Dichte und Tiefe erzeugen kann (ohne pseudo-mystisch die „Gregorianer“-Karte zu ziehen), stellt die Wahlberlinerin Kat Frankie mit ihrem Projekt BODIES eindrucksvoll unter Beweis. Vor ziemlich genau einem Jahr war die Singer-Songwriterin mit ihrer Band auf Clubtour und brachte den Bochumer Bahnhof Langendreer mit treibendem Gitarrenpop zum Tanzen – jetzt erfolgt ein krasser Szenenwechsel hin zu den Bühnen der E-Musik, in diesem Fall des Dortmunder Konzerthauses.
Halbkreis im Halbdunkel
Wenige Tage zuvor bot die ausverkaufte Hamburger Elbphilharmonie eine beeindruckende Kulisse, doch auch in Dortmund sind nur noch vereinzelte Plätze frei, als acht Frauen im Halbdunkel die Bühne betreten und sich im Halbkreis aufstellen. Nach dem Auftrittsapplaus herrscht erwartungsvolle Stille, kein Gesicht, kein Körper auf der Bühne ist ausgeleuchtet. Ein zunächst gehauchtes, dann stimmhafter werdendes „Ha“ formt sich zu einem ruhigen, redundanten Rhythmus, weitere Laute fügen sich stimmig ein, bilden einen Klangteppich, auf dem Kat Frankie mit ihrer kraftvoll-klaren Stimme die Melodie ausbreiten kann. Wer die Sängerin kennt, weiß, dass sie jenseits ihrer Band viel mit Loop-Maschine arbeitet und sich derart selbst mehrstimmig begleitet. Dieses technische Hilfsmittel fällt nun weg, die Sängerinnen um sie herum bilden allein mit den Stimmen die Loops, ein feines Gespinst filigran ineinander verwobener Laute. Die Stimmen verschmelzen miteinander zu einem einzigen gewaltigen Klangkörper, der den Konzertsaal wuchtig füllt. Auch wenn Kat Frankie zweifellos im Mittelpunkt des Geschehens steht, zählt hier nicht die Einzelleistung, sondern die Einheit des Ensembles. Das Ergebnis ist schlicht überwältigend, Gänsehaut erzeugend.
Minimale Gesten
Dass es bei aller Präzision an diesem Abend nicht zu sakral wird, dafür sorgt die gebürtige Australierin mit ihren nahbaren und humorvollen Ansagen. Hier ist sie locker, scherzt mit dem Publikum, und die Freude über die vollen Ränge und die außerordentliche Aufmerksamkeit im Saal spiegelt sich in ihrer Mimik. Und dann herrscht wieder volle Konzentration für das ausgefeilte Timing. Jede der beteiligten Sängerinnen hat ihren eigenen Weg, sich im Flow zu halten. Es fasziniert, die kleinen Gesten, das minimale Dirigieren und Taktgeben zu beobachten. Nur gelegentlich werden die Stimmen von Klatschen oder Fußstampfen begleitet. Das geschieht nicht effekthaschend, wir wohnen hier keiner Bodypercussion-Show bei – die Rhythmen kommen aus der fließenden Bewegung heraus. Die minimalistische Choreographie spielt mit Licht und Schatten, ein asymmetrisch gezimmerter Holzblock ist das nahezu einzige Requisit, das mal Assoziationen an einen Felsen, mal an ein Boot (oder das „Floß der Medusa“?) weckt.
Am Strand
In einem humorvollen Intermezzo, einer Referenz an das Strandleben vor Sydney, wo Frankie aufgewachsen ist, wird der Holzklotz gar zu einer Düne. Fünf der Sängerinnen ruhen auf Badetüchern am „Strand“, während Frankie und zwei ihrer Kolleginnen in laufende Ventilatoren hineinsingen. Eine erfrischende Spielerei mit Effekten, die ungefähr zur Mitte des 90-minütigen Programms eine Pause in der Hochkonzentration bietet. Die Setlist ist sehr abwechslungsreich und bietet neben dem hymnischen „Versailles“, das auch choreographisch den revolutionären Marsch von Marktfrauen zum Königsschloss nacherzählt (und wo das Bühnenbild eine Reminiszenz an das Delacroix-Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ erlaubt), auch das mitreißend-beschwingte „Bad Behaviour“ oder den Gospel-Blues „Headed for the Reaper“. Auch „Frauen verlassen“, der Song, der vor vielen Jahren im Loop-Gewand auf Youtube den Bekanntheitsgrad der Sängerin gesteigert hat, fehlt nicht und gewinnt in der Vielstimmigkeit noch einmal hinzu. Minutenlanger tosender Applaus und Standing Ovations sind der Lohn für die herausragende Leistung dieser Künstlerinnen.
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