Theater kann manchmal aufregend sein, immer dann, wenn das Leben auf der Bühne sich dem Leben vor dem Theater so weit nähert, dass die Konturen verwischen. Kein Traum wie Alice‘ in Carrolls Wunderland, aber eine traumhafte Performance des Nebensächlichen. Dafür folgen die Zuschauer Schorsch Kamerun zwangsläufig in seinen Bau, fallen in die Sitze und landen in einem Raum mit vielen Möglichkeiten. Das Leben findet auf der Bühne statt, nicht als dramaturgische Handlung, nicht als Regieeinfall eines Theaterregisseurs, sondern tatsächlich, den leckeren Geruch von Waffeln mit Sahne muss man da schon aushalten können.
Das Bühnenbild ist eine Installation des wirren Durcheinanders, eine Glasröhre mit Bepflanzung hält die Vertikale, Bürger flanieren von rechts nach links, gehen undurchsichtigen Beschäftigungen nach, vier Schauspieler strukturieren die Fiktion, in der Wünsche wahr gemacht werden sollen. Wie das stattfinden soll, liefern erst einmal Werbesprüche des nahen Einkaufswunderlandes Centro, wo man mit allen Sinnen genießen kann, wenn man Zeit für eine Auszeit hat. Oder sollte das nur Blendwerk sein? Träumen, so findet es wohl Regisseur Kamerun, ist das Gegenteil von Begrenzung, in der Shopping Mall, die der geborene Musiker bereits zu Gerard Mortiers RuhrTriennale-Zeit mit einem Gurkentrick heimgesucht hat, findet man nur den Ort, wo lediglich die Versprechen blühen, die Teilnehmer der allgemeinen Verwertungsmaschinerie aber nie finden. Auf der Oberhausener Bühne bei „Alle im Wunderland“ sind sie präsent und werden am Ende sogar wahr gemacht.
Hier wird Brandy (Manja Kuhl) vom Könner (Eike Weinreich) ins Wunderland gelockt, hier trifft sie auf die Oberhausener mit dem Diktat der gemeinsamen täglichen Verrichtung, hier muss sie dem Zeitpresser (Sergej Lubic) widerstehen, der sich mit einer Parabel entlarvt: Einem am Hafen dösenden Fischer schwatzt er ein fischiges Geschäft auf, das so umfangreich und arbeitsintensiv wird, dass dieser sich mit dem Haufen Geld endlich wieder das Dösen am Strand leisten kann. Warum sollte man so etwas tun? Man wähle sich den Ort, wo man leben will, eben selbst.
„Alle im Wunderland“ I Sa 2.3. 19.30 Uhr I Theater Oberhausen I 0208 857 81 84
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