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„Winterreise“
Foto: Birgit Hupfeld

Keine Ruh’

22. Dezember 2011

Peter Carp inszeniert Jelineks „Winterreise“ – Theater Ruhr 01/12

Was tut man mit einem Textgebirge der Elfriede Jelinek? Man pinselt es an die Rückwand des Oberhausener Theaters, wo Peter Carp die „Winterreise“ der österreichischen Nobelpreisträgerin inszeniert, in Szene setzt, in Szenen unterbringt, die nie vorhanden sind, wenn man sich das Textbuch vornimmt. Was aussieht wie ein Bauernschwank, wird zur Metapher einer schonungslosen Aufarbeitung dieser Wahnsinnsfrau von sich selbst, angehängt an den gleichnamigen Liederzyklus von Franz Schubert und Wilhelm Müller.

Vergänglichkeit trifft selten das Biografische, aber schnell die im Text implementierten Katastrophen wie Hypo-Bank oder die merkwürdige Berichterstattung im Fall Natascha Kampusch. Besser ist es, wenn Jelinek allgemein mit dem Leben da draußen abrechnet. „Das, was mich seit meiner Kindheit gequält hat, kommt jetzt an. Es ist lang gewandert, und nun ist es bei mir angekommen“, heißt es da, und es sind in der Hauptsache ihre Eltern, die da ins Licht gezerrt werden.

Carp inszeniert in einem aufwändigen Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer. Der Blick fällt anfangs auf eine rohe Almhütte, vor der das Jelinek-Alter Ego seinen ersten Megamonolog erhält. Dann wird die Bude wie eine gigantische Puppenstube aufgezogen, Seitenwände herbeigerollt, fertig sind die Stadl-Innereien mit Tisch und Bänken, mit Badewannentränke und grauen Felsbrocken, eine Treppe führt in die Gästezimmer. Hier findet die Party zur Hochzeit statt, die dann doch wohl nicht stattfindet, weil der Bräutigam stiften geht, bevor die Ehe gestiftet wurde. Am nächsten Morgen wird die Wirtin Frau Jelinek mit schmuckloser Schürze frische Semmeln und den ersten Schnaps kredenzen. Schuberts Zyklus ist kaum zu erkennen, zwei Lieder erklingen vom Band, dazu ab und an vereinzelte Hörnerrufe hinter den Bergen, das war es auch schon.

Ansonsten ist es auffallend still im Theater. Jelineks Texten ist nicht leicht zu folgen, doch sie sind es wert, besonders wenn Anja Schweitzer als zweites Jelinek-Alter Ego über die Mutter monologisiert oder Hartmut Stanke als der an Alzheimer erkrankte Vater auftritt und sich vehement gegen den Realitätsverlust stemmt. Eine gelungene Inszenierung des Negativen, eine tolle Ensembleleistung, ein Abend voller tiefer Trauer – mit Hütten-Gaudi.

„Winterreise“ I Fr 27.1., 19.30 Uhr I Theater Oberhausen I 0208 857 81 84

PETER ORTMANN

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