Es ist inzwischen kein Unding mehr, wenn Leute behaupten, Jazz wäre unpolitisch. Ohne Text kein Protest, könnte das heißen. Musiker wie Caspar van Meel denken da anders. Er bastelt aus den Worten eines Sozialkritikers wie Anthony Giddens eine Komposition. „Sequestration of Experience“ heißt sie, frei übersetzt: „Absonderung der Erfahrung“. Giddens beschreibt mit diesem Begriff die Abtrennung von Erfahrungen wie Tod, Krankheit oder Armut aus dem Alltag der modernen Gesellschaft.
Kurzfristig umbesetzt
Der Bassist und Bandleader Caspar van Meel spielt mit seinem Quintett beim Konzert im Keller des Consol Theaters in Gelsenkirchen seine Intonation dieser Idee in Form eines Up-Tempo-Stücks. Passend für die rastlosen Zeiten ist es reichlich polyphon, weil heute jeder was sagen muss, aber keiner was sehen will. Getragen von zwei herausragend spielenden Bläsern, Max von Einem an der Posaune und Dennis Gäbel am Saxophon.
Dabei musste Dennis Gäbel kurzfristig einspringen, da sich van Meels etatmäßiger Saxophonist, Michel Janssen, im Krankenhaus von einer Nierentransplantation erholte. Dem jungen Gäbel schien das kurzfristige Engagement aber zu zusagen. Er füllte seine Solis mit einer weiten Klangpalette aus und sägte hier und da mit einigen Tönen in den glatten Rhythmus. So auch beim Stück Cardiff, ein von Michel Janssen komponiertes Werk, das man ihm zu Ehren spielte.
Swingender Bandleader
Antrieb und Zusammenhalt erfährt das Spiel des jungen Quintetts aber von Casper van Meel. Der Niederländer bewies auch seine Vorliebe für Up-Tempo-Stücke, bei denen er mit seinem Bass fast schon swingt. So rhythmisch versiert ist sein Spiel – und das übertrug sich auf seine Nebenmänner. Van Meels langjähriger Begleiter Mike Roelofs schuf mit seinen Solis am E-Piano (Rhodes) den harmonischen Ausgleich zu der schweren Bläserfront. Es erschien, als hätte man eine moderne Hard-Bob-Band vor sich.
Seit Jahren ist Caspar van Meel, der Sieger des Jazz-Preises Ruhr 2009 (damals mit der Band Trigonon) ein gern gesehener Gast in den Jazz-Clubs des Ruhrgebiets. Mit seinem abermaligen Wechsel zu einem Quintett sollte das auch in Zukunft so bleiben. Ein paar Zuschauer mehr als gestern hätte das Konzert verdient. Vielleicht war der Rest aber noch in den Shopping-Tempeln Geschenke kaufen, ganz befreit von den Sachen, vor denen man gerne die Augen verschließt.
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