Die Armut in Deutschland wächst weiter. So leben derzeit Personen in Armut, die lediglich 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung haben, Haushalte mit 70 Prozent des mittleren Einkommens stehen an der Armutsgrenze. Das betrifft in Deutschland insgesamt 13 Millionen Menschen, die Tendenz ist leicht steigend. Dies belegt auch der Sozialbericht NRW von Oktober. Laut diesem lag die Armutsrisikoquote in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2013 bei 16 Prozent, im Vorjahr waren es 15,4 Prozent.
Vom Armutsrisiko betroffen sind hier vor allem Arbeitslose, gefolgt von Alleinerziehenden mit ihren Kindern. Gemeint ist hier die sogenannte „relative Armut“, die über den Vergleich zur Armut im jeweiligen sozialen Umfeld eines Menschen erhoben wird. Dieses Konzept wurde viel dafür kritisiert, dass es zwar die Einkommensarmut misst, die damit verbundenen Mängel und Folgen aber nicht beleuchtet. So ist es dann auch mit der Kinderarmut, die ebenfalls am Einkommen gemessen wird. Inzwischen wächst fast jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut auf. Die regionalen Unterschiede sind dabei groß. Im Januar 2014 war das Armutsrisiko von Kindern in Bremen am höchsten, im Regierungsbezirk Düsseldorf ist die Zahl bedenklich gestiegen. Doch es gibt noch ein größeres Problem. Denn Kinderarmut hört nicht mit der Kindheit auf, sondern kann für den weiteren Lebensverlauf weitreichende Folgen haben, gilt sie doch als eins der größten Entwicklungsrisiken für Kinder. So wird Armut beispielsweise als „erblich“ verstanden. Die Eltern armer Kinder stammen oft selbst aus armen Familien. Und arme Kinder werden häufiger selbst sehr früh Eltern.
Der Kinderschutzbund in NRW stellte fest, dass auch das Umfeld der Kinder eher arm ist, bestimmte Stadtbezirke oder sogenannte Brennpunkte werden auch vornehmlich von Familien an der Armutsgrenze bewohnt. Die Kinder gehen in die nahegelegenen Schulen oder Kindergärten, was einer geringeren Mobilität geschuldet ist, und bleiben unter sich. Das ist nur einer der Faktoren, der die soziale Segregation begünstigt. Hinzu kommen Hänseleien durch andere Kinder, wenn Statussymbole wie die hipsten Turnschuhe oder das neuste Spielzeug nicht erschwinglich sind, was wiederum zu Streit im Elternhaus führen kann.
Auswirkungen der Armut auf den sozialen und kulturellen Bereich der Kinder würden sich durch anregende Unternehmungen mit Eltern auffangen lassen, so das Deutsche Jugendinstitut DJI. Doch fehlt es oft an Geld und Zeit, um mit den Kindern Ausflüge zu unternehmen, sie in Sportvereine zu schicken oder gemeinsam mit ihnen einen Film anzusehen. Und so ist der Austausch mit anderen Kindern in Kursen oder Vereinen ebenfalls weniger gegeben.
Auch der schulische Erfolg hängt mit dem Einkommen und der Bildung der Eltern zusammen. Kinder armer Familien haben häufig keinen Zugang zu höherer Bildung oder Förderprogrammen, die nicht unmittelbar vor der eigenen Haustür zugänglich sind. Zudem ist die Anerkennung der Kinder durch die eigene Familie weniger gegeben, ein geringeres Selbstvertrauen ist die Folge. Arme Kinder haben in vielen Fällen einen schlechteren Gesundheitszustand, gute Ernährung und regelmäßige Mahlzeiten sind nicht für alle Kinder selbstverständlich.
Dieser Teufelskreis der Armut ist ein Längsschnitt. Nicht jedes Kind aus einer armen Familie muss in diese Schwierigkeiten geraten. Doch warnen wissenschaftlichen Studien vor diesen Gefahren und Folgen von Kinderarmut. Der Sozialwissenschaftler Steffen Kohl stellte für den UNICEF Report 2013 fest, dass sich auch die Länge von Armutserfahrungen auf die Kinder auswirkt. Kinder mit einer Armutserfahrung von maximal einem Jahr haben eine andere Lebenszufriedenheit und beschreiten oft einen anderen Lebensweg als Kinder, die sechs Jahre oder mehr von Armut betroffen waren.
So muss die Bundesregierung deutlich entschiedener gegen Kinderarmut und die möglichen Folgen vorgehen. Sie sollte nicht nur das Recht der Kinder auf eigene Grundsicherung durchsetzen, es bedarf weiterer Hilfen: Die Länder müssen Netzwerke bilden, die die möglichen Folgen der Kinderarmut auffangen können. Ämter, Betreuer, Ärzte, Lehrer und Eltern müssen in Dialog miteinander treten und Angebote schaffen. Es müssen mehr Kinder- und Familienzentren eröffnet werden, die den Kindern und Familien Austausch und Hilfen ermöglichen, denn nur in der Gemeinschaft können diese Probleme gelöst werden. Denn auch die Kinder, die heute in Armut leben, bestimmen später die Zukunft unserer Gesellschaft.
Aktiv im Thema
www.kinderarmut-in-deutschland.de
www.armut.de
www.kinderarmut-hat-folgen.de/index.php
www.dksb.de/content/start.aspx
Lesen Sie weitere Artikel zum Thema auch unter: choices.de/thema und engels-kultur.de/thema
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