trailer: Sie haben im Herbst ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Steueroase Deutschland – Warum bei uns viele Reiche keine Steuern zahlen“. Zunächst zur Wortklärung: Was verstehen Sie unter „Steueroase“?
Markus Meinzer: Ich persönlich benutze den Begriff „Steueroase“ gar nicht so gerne, weil er etwas Positives suggeriert. Stattdessen sage ich lieber „Schattenfinanzplatz“. Denn das trifft es eher. Es ist ein Platz beziehungsweise ein Land, das Einzelpersonen oder Unternehmen dabei behilflich ist, Finanz-Gesetze und -Regeln anderer Länder zu umgehen. Darüber wird ein blickdichter Mantel des Schweigens gebreitet – mit Bankgeheimnis, Steuergeheimnis und Co.
Und Deutschland ist ein solches Land?
Ja. Ein Beispiel: Die Abgeltungssteuer, die jeder Deutsche für sein Geld oberhalb des Freistellungsauftrags bezahlen muss, gilt bei Zinsen nur für Inländer. Alle Ausländer, egal ob sie innerhalb der EU oder anderswo auf der Welt wohnen, müssen keine Abgeltungssteuer zahlen, wenn sie Geld bei deutschen Banken anlegen. Gleichzeitig meldet Deutschland nur circa ein Prozent der Zinsen ausländischer Anleger an die Finanzbehörden der Heimatländer. Deutschland ermöglicht also genauso Schwarzgeldkonten wie die Schweiz oder Luxemburg. Für Unternehmen sieht das ähnlich aus – auch hier machen es Gesetzeslücken ausländischen Unternehmen leicht, auf Gewinne aus Deutschland kaum Steuern zu zahlen.
In Bezug auf Privatpersonen kann man sich Steuerhinterziehung noch recht einfach vorstellen. Aber wie kann ein Unternehmen dem Staat Geld vorenthalten?
Das ist möglich, indem man die Lücken in den Gesetzen verschiedener Länder geschickt ausnutzt. Problem Eins besteht darin, dass nicht genau definiert ist, was eigentlich der Gewinn eines Unternehmens ist. Klar ist nur: Der Gewinn ist das, was nach Abzug aller Kosten übrig bleibt. Aber was als Kosten abgezogen werden darf, das liegt im Ermessen des Unternehmens. Es können zum Beispiel Managementgebühren, Beratungshonorare und viele weitere teils fiktive Kosten in Millionenhöhe abgezogen werden, so dass der Gewinn auf dem Papier nur noch ganz klein ist.
Problem Zwei besteht darin, dass ein Konzern mit mehreren Tochtergesellschaften nicht als ein großes Unternehmen behandelt wird. Sondern das Steuerrecht tut so, als wäre jede Tochter eine eigenständige Firma, die in Konkurrenz zum Mutterkonzern steht. Auf diese Weise ist es möglich, dass beim konzerninternen Handel alle möglichen Kostenzwischen Mutter- und Tochtergesellschaft herum gereicht werden. Am Ende fallen die Kosten in Hochsteuerländern an, die Gewinne aber werden auf dem Papier in klassische Steueroasen verschoben, wo sie auf Mini-Steuersätze treffen.
Problem Drei ist, dass alle diese Geldströme sehr intransparent sind und kaum nachvollzogen werden können. Deshalb können es sich Großkonzerne zum Zielsetzen, möglichst alle Schlupflöcher zu nutzen, um nirgendwo Steuern zahlen zu müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Steuerpraktiken ans Licht kommen, ist gering, so dass ihr Ruf kaum gefährdet ist. Und alle Unternehmen, die bei diesem Spiel nicht mitmachen, tragen finanzielle und Wettbewerbsnachteile davon.
Kann also Deutschland gar nichts dafür, dass es eine Steueroase ist, weil die Regeln am Finanzmarkt das nunmal ermöglichen?
Doch. Die deutsche Regierung hat sich in den vergangen Jahren in verschiedenen Gremien dafür eingesetzt, dass ander aktuellen Intransparenz nichtgerüttelt wird. Und wenn eine Verschärfung geplant wurde, etwabeider EU oder der OECD, dann hat Deutschland mehrfach sein ganzes Gewicht in die Waagschale geworfen, um die Verschärfung möglichst gering zu halten. Ein Beispiel: Bis heute wird nicht erfasst, wie viel Umsatz und Gewinnein Konzern in welchem Land macht. Zwar existieren diese Daten auf dem Schreibtisch des Vorstands, aber sie sind geheim. Seit 2014 müssen diese Informationen wenigstens für den Finanzsektor veröffentlicht werden. In den nächsten Wochen aber führt Deutschland die Koalition der Gegner auf EU-Ebene an, um eine Ausweitung dieser Regeln für alle Wirtschaftssektoren in der Aktionärsrechte-Richtlinie zu verhindern.
Bei anderen Regelungen wird es noch deutlicher, etwa bei der Haftung von Bankern bei Falschmeldungen zu Kontendaten. In Deutschland gilt: Selbst wenn der Vorstand einer Bank schriftlich allen Mitarbeitern anordnet, dass sämtliches Geld aus Südafrika falsch gemeldet werden soll, etwa als käme es von den Bahamas, und dieses Schreiben einem Richter vorliegt, dann muss der Vorstand maximal mit einer Geldstrafe von 50.000 Euro rechnen. Ursprünglich hatte Deutschland sich sogar für eine Strafe von nur 5.000 Euro eingesetzt. In den Niederlanden gilt für die gleiche Tat eine Gefängnisstrafe von bis zu vier Jahren.
Genauso lax ist die Bankerhaftung bei der Annahme von Schwarzgeld geregelt. Wenn deutsche Banker wissentlich und vorsätzlich ausländisches Geld aus Steuerhinterziehung anlegen, machen sie sich überhaupt nicht strafbar. Frankreich, Großbritannien und selbst Länder wie Singapur haben das anders geregelt. Dort sind Banker mitschuldig, wenn sie wissentlich Geldaus illegalen Quellen anlegen. Aber Deutschland pocht immer wieder und auf verschiedenen Ebenen darauf, dass Strafen aufgrund von grenzüberschreitendem Steuerbetrug möglichst gering bleiben. Die Devise scheint zu lauten: Wir machen gerne Kasse mit Steuerdaten-CDs, aber Steuerhinterzieher mit Auslandskonten müssen bei uns nicht ins Gefängnis.
Warum bremst Deutschland bei der Transparenz in internationalen Steuerfragen?Es gibt mehrere Gründe. Durch die aktuelle Intransparenz ist nicht klar, ob Deutschland eher zu den Ländern gehört, aus denen unter'm Strich Steuergeld abfließt oder die von fremdem hinterzogenen Geld rein rechnerisch profitieren. Die Befürchtung der Regierung ist es aber offenbar, dass sie durch schärfere Regeln insgesamt an Einnahmen verlieren könnte. Außerdem üben manche weltweit agierenden Großkonzerne erheblichen Druck auf Deutschland, aber auch beispielsweise auf die USA aus. Denn ihnen ist bewusst, dass sie vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu wenig Steuern bezahlen. Durch die aktuellen Regelungen lässt sich das ganz gut verschleiern. Also ist es kein Zufall, dass vor allem Industrienationen die Steuertransparenz scheuen, während die Entwicklungs- und Schwellenländern mehr Offenheit fordern. Unpraktischerweise bestimmen die Industriestaaten innerhalb der OECD die Regeln.
Was sagen denn Ihre Recherchen: Stimmt die Befürchtung der Regierung, dass mehr Transparenz zu weniger Steuereinnahmen in Deutschland führen würde?
Auch wir vom Tax Justice Network können nicht mit Sicherheit sagen, ob die Steuereinnahmen in Deutschland am Ende durch mehr Transparenz steigen würden oder nicht. Das hängt von vielen Faktoren ab. Aber es ist davon auszugehen, dass viele Konzerne aktuell weder in Deutschland noch in anderen Ländern Steuern zahlen. Somit wäre das potentielle Steueraufkommen insgesamt auf jeden Fall größer. In einer weltweiten Umfrage unter den größten Konzernen hat sich außerdem eine Mehrheit von 59 Prozent für mehr Transparenz ausgesprochen. Vielen Firmen ist es nämlich letzten Endes relativ egal, wie viele Steuern sie zahlen, solange die Konkurrenz genauso viel zahlen muss und die Steuerzahlungen planbar sind. Beides ist momenten nicht der Fall. Aktuell profitieren die Konzerne am meisten, die sich die besten Steuerberater, Anwälte und Lobbyisten leisten können.
Mindestens genauso wichtig finde ich auch den moralischen Faktor: Wie können wir uns anmaßen, den Entwicklungs- und Schwellenländern ihren fairen Steueranteil vorzuenthalten und diese Länder damit noch weiter zu destabilisieren? Durch ihre aktuelle Haltung trägt die deutsche Regierung dazu bei, die Schwellen- und Entwicklungsländer zu schwächen beziehungsweise schwach zu halten. Demokratiebewegungen werden so aufgehalten, Korruption hingegen wird gestärkt. Wenn veröffentlicht würde, welche Steuern große Konzerne in krisenbehafteten Ländern zahlen müssen, dann könnte die Bevölkerung dort auch fragen: „Wo ist das Geld? Was wurde damit gemacht?“ Diesen Aspekt vermisse ich in der aktuellen Flüchtlingsdebatte.
Kann es angesichts dieser verworrenen Taktiken und dem Veto der großen Industriestaaten überhaupt Steuergerechtigkeit geben?
Ich bin davon überzeugt, dass das geht. Und dass Steuergerechtigkeit weltweit gelingen kann. Aber das wird nicht von heute auf morgen geschehen.
Ich vergleiche diese Entwicklung gerne mit der Abschaffung der Sklaverei. Lange Zeit konnten sich die reichen Staaten nicht vorstellen, wie ein Leben ohne Sklaven überhaupt funktionieren könnte. Trotzdem haben einige Menschen ihr Leben lang dafür gekämpft, dass die Sklaverei abgeschafft wird. Und schließlich wurde der Sklavenhandel verboten. Zwar gab es noch eine Weile illegale Möglichkeiten, aber nach einigen Jahren war auch das vorbei.Heute ist Sklaverei als Grundlage für einen Wirtschaftssektor undenkbar geworden.
Eine ähnliche Ausdauer braucht es auch für die Steuergerechtigkeit. Die Industriestaaten müssen erkennen, dass sie zwar den politischen Kolonialismus überwunden haben, aber der ökonomische Kolonialismus auch heute noch Bestand hat. Im nächsten Schritt muss dieser beseitigt werden. Meine Hoffnung ist, dass sich die Bevölkerung dessen bewusst wird und dafür einsetzt, dass diese Ungerechtigkeit aufhört. Aber diese Auseinandersetzung wird einige Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern, weil wir die reichsten und mächtigsten Lobbyinteressen gegen uns haben, die vom Status Quo finanziell profitieren.
Können normale Bürger, die keine Ahnung vom Steuerrecht haben, denn überhaupt etwas tun?
Natürlich. Es gibt regelmäßig Online-Kampagnen, die über ungerechte Steuerregeln informieren und gegen die man unterschreiben kann. Das ist ganz einfach. Wer mehr tun will, kann sich bei einer Gewerkschaft oder bei Vereinen wie attac und dem Netzwerk Steuergerechtigkeit einbringen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, durch das Kaufverhalten die Firmen zu bestrafen, die dafür bekannt sind, sich geschickt an der dunkelgrauen Grenze zu bewegen.
In einzelnen Ländern gibt es dazu spannende Entwicklungen. In Großbritannien gibt es beispielsweise seit kurzem das „Fair Tax Mark“. Ähnlich wie das bekannte „Fairtrade Siegel“ kennzeichnet es die Produkte von Unternehmen, die bewusst keine Steuer-Schlupflöcher nutzen, sondern in ihren Grundsätzen festgeschrieben haben: Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und zahlen gerne unsere Steuern.
Letztendlich müssen sich natürlich die politischen Rahmenbedingungen ändern. Eine Stellschraube dafür sind öffentliche Auftragsvergaben. Wer in irgendeiner Form mit solchen zu tun hat, kann sich dafür einsetzen, dass nicht unbedingt die billigste Firma beauftragt wird. Sondern dass solche Unternehmen bevorzugt werden, die freiwillig ihre Umsatz- und Steuerdaten zur Ansicht freigeben und nicht in jeder Steueroase der Welt eine Niederlassung haben. In Frankreich und Finnland sind solche Initiativen auf kommunaler Ebene schon sehr weit verbreitet.
Ein letzter wichtiger Punkt betrifft das eigene Geld. Wer immer nur nach den höchsten Zinsen Ausschau hält, egal mit welchen Mitteln diese verdient werden, nimmt dadurch Steuermissbrauch in Kauf und unterstützt die weltweite Ungerechtigkeit. Insofern sollte sich jeder selbst gut überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, auf ein paar Nachkommastellen an Zinsen zu verzichten und sein Geld dafür einer Bank anzuvertrauen, die transparent handelt und weder Krieg noch Unterdrückung mit dem Geld fördert.
Aktiv im Thema
www.appell-vermoegensabgabe.de
www.vermoegensteuerjetzt.de
netzwerksteuergerechtigkeit.wordpress.com | Netzwerk Steuergerechtigkeit
www.sueddeutsche.de/thema/Luxemburg-Leaks | Luxemburg-Leaks bei sz.de
www.taxjustice.net | Int. Netzwerk für Steuergerechtigkeit mit Sitz in Großbritannien
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Thema im Februar: GUTE ZEIT – Statt guter Vorsätze, weg mit dem Pessimismus! Gute Nachrichten von hier und aus anderen Ländern.
Projekte von Staaten, Kommunen und Initiativen, die Mut machen.
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