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Andrea Gollnow vom Kino Endstation
Foto: Ann Katrin Thöle

Kunst oder Lüge?

29. September 2011

„Bad Boy Kummer“ von Miklós Gimes im Kino Endstation - Foyer 10/11

Wohl wahr: „Wenn man etwas tut, was zu groß ist für die eigene Kleinheit, dann kommt man natürlich in die Schizophrenie.“

Mit solchen und ähnlichen Erklärungsversuchen versuchen der Regisseur Miklós Gimes und die Gesprächspartner, die er für seinen Dokumentarfilm aufgesucht hat, dem Rätsel Tom Kummer beizukommen. Wie konnte sich dieser schreibende Wunderknabe, Liebling der Branche und hochgelobter Protagonist eines gefeierten „New German Journalism“ nur so ins Abseits manövrieren?

Die von Tom Kummer in den 1990ern erfundenen, tiefgehenden Gespräche mit großen Hollywoodstars (u.a. Pamela Anderson, Mike Tyson, Sharon Stone und Sean Penn) wurden von renommierten Blättern wie dem Süddeutsche Magazin und dem Schweizer Tagesanzeiger-Magazin veröffentlicht. Sie erlangten Kultstatus, bis der Schwindel aufflog und Kummers Karriere beendet war.

Tom Kummer, der in „Bad Boy Kummer“ zwischen amüsierter Coolness und nachträglichem Staunen hin- und herwechselt und sich dem allzu psychologisierenden Zugriff von Filmemachern, Wegbegleitern und ehemaligen Kollegen stets entzieht, begründet seinen journalistischen Sündenfall eher pragmatisch: „Fun“ spielte eine Rolle, und er war zur richtigen Zeit der richtige Mann am richtigen Ort. Außerdem war das doch ein Spiel, das alle mitgespielt haben! Das ist denn auch die eigentlich spannendere Frage: Wurden seitens der Auftraggeber vielleicht Zweifel beiseite geschoben, weil die Quote stimmte? Hat Kummer durch seinen Regelverstoß die Mechanismen des modernen Journalismus offengelegt? Darüber diskutierten nach der Filmvorführung im Kino Endstation in kleiner, aber angeregter Runde Zuschauer und JournalistInnen aus dem Ruhrgebiet. Vor dem Hintergrund des Films wurde darüber nachgedacht, inwiefern sich das journalistische Ethos in Zeiten mächtiger PR-Agenturen – die Praxis des Autorisierens von Interviews ist auch im deutschen Filmjournalismus inzwischen gang und gäbe – und verstärktem ökonomischem Druck in der Medienlandschaft überhaupt noch aufrechterhalten lässt. Schizophren agieren nämlich auch viele Kulturredaktionen, die einerseits außergewöhnliche Stories verlangen, andererseits auf Massenkompatibilität schielen und Risiken vermeiden wollen.

Wo aber liegt der Unterschied zwischen Unterhaltung und Information, zwischen kreativer Bearbeitung und Betrug? Mit einem Definitionsversuch verließ man schließlich das Kino: Ein journalistischer Text ist keine Fiktion. Die Existenz der Quelle bindet den Journalismus an die Realität. Diese Quelle ist bei Kummer nicht existent. Ein kritischer, engagierter Journalismus ist nach wie vor möglich und nötig, wenn auch unter erschwerten Bedingungen.

ANN KATRIN THÖLE

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