Ein kleines Kind mit kahlem Kopf rast auf dem Fahrrad den Krankenhausflur entlang, während seine Mutter mit dem Infusionsständer mühsam Schritt zu halten versucht. Es ist ein symbolisches Bild, das der Regisseurin Barbara Wachendorff immer wieder begegnet ist. Die 51Jährige ist spezialisiert auf Rechercheprojekte. In ihrem neuesten Stück „Elefant im Raum“ am Theater Moers stehen die Erfahrungen von Jugendlichen mit Sterben und Tod im Zentrum. Barbara Wachendorff hat mit zwanzig Jugendlichen gesprochen, die lebensbedrohliche Krankheiten von Leukämie bis Morbus Hodgkin überlebt haben oder noch damit kämpfen.
Es geht dabei nicht um jugendliche Leidensbulletins, sondern darum, so Barbara Wachendorff, „wie sich die Perspektive auf das Leben verändert, wenn man vom Tod bedroht ist“. Und das beginnt oft schon im Krankenhaus. Während auf den Krebsstationen für Erwachsene meist eine gedrückte Stimmung herrscht, geht auf der Kinderonkologie meist die Post ab. Barbara Wachendorff berichtet von Skatern, vom Toben, von Hollenlärm, aber auch von der Offenheit und der innigen Gemeinschaft der todkranken Steppkes – beides dient auch als lebendiger Widerstand gegen die Krankheit. Diese Lebendigkeit und den Humor will Barbara Wachendorff auch auf der Bühne vermitteln.
Viele Jugendliche entwickeln einen regelrechten Lebenshunger und freuen sich danach über ganz einfache Dinge wie Sonne auf der Haut oder Pommes an der Bude. „Ich war einfach so dankbar, dass es sowas gibt wie Welt“, erzählt die 20jährige Lisa, die vor vier Jahren an Leukämie erkrankt war, im Stück. Sie wird zusammen mit Janise Ebbertz und den Schauspielern Matthias Heiße und Katja Stockmann auf der Bühne stehen und mittels Videoeinspielungen, Skypekonferenzen mit anderen Jugendlichen sowie Texten von Franz Kafka von Erfahrungen im Angesicht des Todes berichten.
Die Produktion „Elefant im Raum“ ist Teil des Großprojekts „überGehen“, mit dem das Theater Moers den Tod zum Thema auf der Bühne macht. Für Chefdramaturg Felix Mannheim besteht eine Diskrepanz zwischen der ständigen Berichterstattung über den Tod in den Nachrichten und der Tabuisierung von Krankheit und Sterben im individuellen Bereich: „Tod passiert, ist aber nicht Teil des Lebens“. Viele wünschten sich eine offenere Aussprache, doch die Gesellschaft schweige, zum Teil auch aus falsch verstandener Rücksicht. Anders als andere Medien kann die Bühne, sagt Felix Mannheim, hier einen Diskurs anstoßen. So wird es neben dem Rechercheprojekt von Barbara Wachendorff eine Inszenierung von Susan Sontags Roman „Todesstation“ als Welturaufführung geben, in der sich die 2010 gestorbene Autorin Jahre vor ihrem Tod auf humorvolle und spannende Weise mit den Ängsten vor dem Ende auseinandersetzt. Vorträge beleuchten aus medizinischer, philosophischer und theologischer Sicht den Tod, und eine Ausstellung des Trauerbegleiters Fritz Roth, der 100 prominente und weniger prominenten Personen bat, einen Koffer für die letzte Reise zu packen, zeigt, was man im Jenseits so alles brauchen kann.
„Elefant im Raum“ von Barbara Wachendorff | 2./4./9./10./25.2./2./4./28.3.
„Todesstation“ von Susan Sonntag | R: Ulrich Greb | 22./24.3./1./15./20./21.4. | Schlosstheater Moers I www.schlosstheater-moers.de
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