In der Commedia dell’Arte von Carlo Goldoni beginnt der Diener Truffaldino aus Geldnot zwei Arbeitsverhältnisse. Damit sein Schwindel nicht auffliegt, muss er fortan ein Zusammentreffen seiner Geldgeber verhindern. Intendant Ulrich Greb spricht über seine Inszenierung und erklärt, warum das Stück weiterhin aktuell ist.
trailer: Herr Greb, in Goldonis Stück wird Hauptfigur Truffaldino zum Spielball knauseriger Dienstherren und korrupter Adeliger. Ist der Stoff zeitgemäß?
Ulrich Greb: Es geht darüber hinaus auch um prekäre Arbeitsverhältnisse, um Menschen, die mehrfach beschäftigt sind und mit Minijobs kurz vor dem Burnout stehen. Ja, der Text ist immer noch zeitgemäß. Das Tolle an dem Stoff ist aber auch, dass er nicht nur aktuell, sondern auch eine der bestgebautesten Komödien der Theaterliteratur überhaupt ist. Eine Herausforderung, der wir uns gern stellen, denn wie man weiß, sind Komödien immer am schwierigsten.
Hat Johann Wolfgang von Goethe diese Kritik an den Herrschenden im 18. Jahrhundert nicht durchschaut, als er das Stück in Weimar inszenierte?
Ich hab die Aufführung damals nicht gesehen (lacht) und weiß nicht, wie Goethe den Text auf die höfisch-bürgerlichen Verhältnisse in Weimar übertragen hat. Da Theater immer auf Realität reagiert und die Commedia dell‘ Arte von ihrem Ursprung als Straßentheater immer auch gesellschaftskritisch war, ist es natürlich interessant, dass in den Stücken das herrschende System zwar kritisiert, am Schluss die bestehende Ordnung aber wiederhergestellt wird – ein bisschen wie beim Karneval. Offenbar war das für die Herrschenden trotzdem so brisant, dass das Stegreifspiel Ende des 18. Jahrhunderts in ganz Europa verboten wurde.
Also bleiben wir alle Truffaldinos in einer bösen Komödie?
Das kann man so sehen. Allerdings entdecken wir im Probenprozess zwischen den Figuren, beispielweise zwischen Beatrice und Clarice, Perspektiven, die den vorgegebenen Rahmen sprengen und die gesellschaftlichen Konventionen aufbrechen. Und natürlich bringt Truffaldino durch sein subversives Dienen permanent Chaos in die bestehende Ordnung.
Doch die Macht lässt sich auch damals schon nicht leicht austricksen?
Natürlich nicht. An der Stelle ist Goldoni realistisch und konstruiert einen streng hierarchischen Rahmen, vom Patriarchen oben bis zur untersten sozialen Stufe der Diener und Dienerinnen. Auf jeder Stufe ringen die Figuren darum, ihre Positionen zu sichern, auszubauen oder zumindest nicht abzustürzen. Das ist unverändert gängige Praxis in ökonomisierten Strukturen, zwischen Ellbogen und Profitgier, in der alle Beziehungen auf ihren Mehrwert hin taxiert werden.
Brauchen wir im Theater Komödien, um den Irrsinn um uns herum auszuhalten?
Ja (lacht). Woody Allen hat mal gesagt: Komödie ist Tragödie plus Zeit. Komik ermöglicht, Distanz zu einer eigentlich tragischen Situation aufzubauen. Sie funktioniert umso besser, je existenzieller der Grundkonflikt ist. Die Distanz zu den Figuren hat möglicherweise etwas Tröstliches, bringt vor allem aber das moralisch nicht ganz korrekte Vergnügen, überforderten Überlebenskünstlern beim Scheitern zuzusehen. Letzten Endes verändert Humor kein System, vielleicht aber die Art zu denken. Interessant, dass autoritäre Systeme darauf immer sofort restriktiv reagieren.
Was ist das Besondere an der Inszenierung in Moers?
Wir haben zwei Setzungen gemacht: Das Bühnenbild von Birgit Angele ist eine Art Theatrum Mundi: eine verspiegelte Kiste – sechs Meter breit, vier Meter tief, vorne 1,90 Meter hoch – die sich nach hinten verjüngt in der Breite und in der Höhe auf gerade mal 80 cm. Man kann nur ganz vorne aufrecht stehen. Der Raum zwingt die Körper, in einer gebückten Haltung zu spielen, ganz hinten sogar nur kriechend. So wie Körper durch die räumlichen Bedingungen deformiert werden, verändern auch die Körper bei uns ihre Gestalt. Alle Figuren haben eine zweite Haut, die flexibel und extrem dehnbar ist. Arme und Beine können vier Meter lang werden, in den Körpern lassen sich Lebensmittel, Geld und andere Menschen unterbringen. Es kommt zu Mutationen zwischen den Figuren. Dadurch ist eine überrealistische, comichafte, aber auch sehr poetische Erzählweise möglich. Die Inszenierung gibt uns außerdem die wunderbare Gelegenheit, uns ganz grundsätzlich mit der Funktionsweise von Komik auseinander zu setzen.
Das Stück ist ja schon über 200 Jahre alt. Könnte eine KI so etwas heute überhaupt schreiben?
Eine KI könnte die Figurenkonstellationen und Situationen kopieren, wenn sie vorher damit gefüttert wurde. Das wäre wahrscheinlich gar nicht so kompliziert, denn die Commedia dell‘ Arte selbst greift ja auf bestimmte Handlungsmuster zurück. Aber es würde nicht das passieren, was Goldoni damals mit seinem Text kreiert hat, denn da waren ja geradezu revolutionäre Statements drin, wenn beispielsweise die Dienerin dagegen protestiert, dass Frauen in den patriarchalen Strukturen keine Rechte haben. Das war damals ziemlich radikal und provozierend. Das kann eine KI nur nachkauen und so ein Plagiat schaffen. Es sei denn, jemand impft den Programmcode mit kritischem Widerstand und am besten auch mit Humor.
Der Diener zweier Herren | 18.2. 11.30 Uhr (Matinee), 22. (P), 24.2. je 19.30 Uhr | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10
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