Die Transformation der Allesfresser:innen zu Vegetarier:innen sieht im Theater irgendwie anders aus als gedacht. Beim Titel „Zwei Fleischfachverkäuferinnen“ sollte doch Jede und Jeder eher nur an den Niedergang des Metzgerhandwerks denken und nicht an den Teufel. Trotzdem toben da erst einmal drei kreischend-bunte Spaßkanonen durch einen skurrilen Würstchen-Abend und erklären der sowieso gerade sterbenden Normalität da draußen den mörderischen Fleisch-Krieg. Tönnies war gestern, jetzt erklären im Moerser Schlosstheater zwei Fleischfachverkäuferinnen den gammeligen Zustand der Welt bereits vor dem Filetieren. Der Text stammt von Leinwand-Altmeister Rosa von Praunheim. Entsprechend werden als Hommage an historische cineastische Zeiten ein handgeschriebener Vorspann und die Übertitel eher vorsätzlich dilettantisch per Overheadprojektor an die durchsichtige rückseitige Kunststofffolie projiziert. Da die Frau vom Gesundheitsamt der Fleischerei immer lauert, muss ja schließlich die dauerhafte Keimfreiheit gewährleistet sein.
Aber nun zerstören erst einmal Karina (Emily Klinge) und Zarah Chi Chi (Matthias Heße) wort- und singgewaltig die Auslage ihrer Fleischerei. In gleichen rosa PVC-Lackkleidern und anfangs weißen Metzgerschürzen geht es darum, wie schlecht es dem Laden und den beiden geht, ob nicht auch Menschen zu Wurst verarbeitet werden könnten und ob nicht der Beruf selbst so hundsgemein sei. Das ganze bringen die beiden eher boshaft performativ über die Bühne mit kleinem Catwalk ins Publikum. Da fliegt das Fleisch, da laufen die beiden Rampensäue zu Höchstform auf, nur Spielfreude ist das nicht mehr, das hat eher schon orgiastische Züge. Auf einen Schlag wird es dunkel. Auftritt der mysteriösen Frau Müller, die Roman Mucha köstlich-schrullig-boshaft mit krummen Beinen, Handtäschchen und klitzekleinem auf Knopfdruck bellenden Hündchen meistert.
Das hinterhältig tiefgründige Stück mit Gesang von Rosa von Praunheim lebt von seinen dadaistischen Verwerfungen, die eine durchgehende Handlung ziemlich zerstören. Die Protagonistinnen springen geschickt von einer Szene zur nächsten, dramatisch steigert sich die Handlung in die Absurdität. Regisseur Damian Popp hat für die Uraufführung drei mächtige queere Fleischermesser zur Verfügung, die er geschickt durch die von Tanja Maderner ausgestattete Schlachterei choreografiert. Irgendwie gelangt dann eine nette reiche Sau mit Schweizer Nummernkonto auf die Bühne, die gegen Geld adoptiert werden will, doch Karina lässt das Messer blitzen für ihre Liebe zu Zarah, die jedoch nicht erwidert wird. Das alte Paar mit augenscheinlich auch Beckettschen Wurzeln bricht nun auf zu den Eidgenossen sich zu bereichern, sie schaffen das an einem korrupten Bankschalter auch, schaffen es in die Südsee, doch die mysteriöse Frau Müller hat sie als boshafter Mephisto immer beschattet und erpresst sie nun. Gibt es für die beiden wohl ein Happy End? Mehr sei hier nicht gespoilert – diesen höllischen Abend zwischen Schuld und Sühne der Fleischverarbeitung dürfen Sie nicht verpassen. Vielleicht denken sie beim nächsten Metzgereinkauf ja mal über Wolfstatzen in Öl nach. Jäger:innen und Schäfer:innen fänden das sicher ganz zauberhaft. Doch was bedeutet es für immer glücklich zu sein?
Zwei Fleischfachverkäuferinnen | Di 20.12. 19.30 Uhr | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10
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