Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.581 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

Special Teddy Award für Monika Treut

Mehr Mut

19. Februar 2017

Bei den 31. Teddy Awards auf der Berlinale ging es um Toleranz – Festival 02/17

Freitag, 17. Februar: Auf den ersten Blick könnte man den Eindruck erlangen, dass für queere Menschen oder LGBTIQs zumindest in Europa rechtlich schon vieles erreicht wurde. Aber gerade angesichts des Erstarkens der Rechtspopulisten ist einiges nicht mehr selbstverständlich und muss anderes beständig verteidigt oder weiter erkämpft werden. Vor diesem Hintergrund ist die Verleihung der „Teddy Awards“ für die besten queeren Filme der Berlinale, die die sexuelle Vielfalt feiern und für Toleranz und Freiheit eintreten, nach wie vor wichtig. Der weltweit bedeutendste queere Filmpreis wurde in diesem Jahr im „Haus der Berliner Festspiele“ zum 31. Mal in fünf Kategorien verliehen. Im Gegensatz zu seinem schwulen Vorgänger Klaus Wowereit ließ sich der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller, in diesem Jahr bei der Preisverleihung entschuldigen. Stattdessen war mit der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, aber doch noch eine hochrangige Politikerin anwesend, die sich in ihrer Ansprache als „Hetero-Gast“ outete und das Motto für den Abend festschrieb. In Anlehnung an die Antrittsrede des neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, in der dieser mehr Mut eingefordert hatte, ergänzte Nales: „Mehr Mut, gegen Diskriminierung und Ungleichheit anzustinken, mehr Mut, gegen Autokraten und Rechtspopulisten Flagge zu zeigen, mehr Mut, für Toleranz und Vielfalt einzutreten, und das nicht nur in unserem Land, sondern weltweit.“ Dann adressierte sie das anwesende internationale queere Publikum mit den Worten. „Ihr seid die Mutigen, ihr habt die Welt verändert, ihr macht den Unterschied aus.“

Ministerin Andrea Nahles mit Begleitung

Der erste Preis des Abends, der vom Schwulenmagazin „Männer“ gestiftete Publikumspreis „Harvey Award“, wurde Francis Lees stimmungsvoller „Brokeback Mountain“-Variante „God’s Own Country“ zugesprochen. Ein „Teddy Award“ für den besten Kurzfilm aus dem Berlinale-Programm ging danach an die schwedisch-norwegische Koproduktion „Min homosyster“ (My Gay Sister) von Lia Hietala. Der in der Sektion „Generation KPlus“ aufgeführte 15-Minüter handelt von einem zehnjährigen Mädchen, das mit der Homosexualität seiner älteren Schwester zurechtkommen muss. Der „Special Jury Award“ wurde dem japanischen Film „Karera ga honki de amu toki wa“ (Close-Knit) von Naoko Ogigami zugesprochen. Auch hier steht ein junges Mädchen im Mittelpunkt, das unvermittelt mit queerem Leben konfrontiert wird, als es zu seinem Onkel geschickt wird, der mit einer Transfrau zusammenlebt. Wie in jedem Jahr wurde auch 2017 ein „Special Teddy Award“ für ein Lebenswerk verliehen, der an die offen lesbische Filmemacherin Monika Treut ging. Die war in den frühen 1980er Jahren erstmals als Regisseurin in Erscheinung getreten und hat mit Werken wie „Die Jungfrauenmaschine“ und „Gendernauts“ queere Filmgeschichte geschrieben. Auch Treut machte in ihrer Dankesrede auf die aktuelle politische Situation aufmerksam: „Wir beobachten an vielen Orten der Welt, dass die Zeiten wieder schlimmer werden. Auch in Europa werden viele Freiheiten, die wir für selbstverständlich halten, wieder zurückgenommen. Darunter leiden insbesondere Frauen, Kinder, Dunkelhäutige, die Arbeiterklasse, die Älteren und natürlich alle, die aus der Heteronormativität herausfallen.“

Gaby Tupper und Martin Wolkner

Als bester Dokumentar- bzw. Essayfilm ging der Teddy an die taiwanesische Regisseurin Hui-chen Huang und ihren Film „Ri chang dui hua“ (Small Talk), in dem diese ihre eigene, lesbische Mutter vor der Kamera porträtierte. Als bester Spielfilm konnte sich der chilenische Wettbewerbsbeitrag „Una mujer fantástica“ (A Fantastic Woman) von Sebastián Lelio gegen die ebenfalls nominierten Filme „God’s Own Country“ und den südafrikanischen „The Wound“ von John Trengove durchsetzen. In Lelios tags darauf auch mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch ausgezeichnetem Drama geht es um eine Transfrau (gespielt von der echten Transfrau Daniela Vega), die nach dem Tod ihres Liebhabers ins Visier der Polizei und der Familie des Verstorbenen gerät. Über die Vergabe der Teddys entschied eine siebenköpfige Jury aus Queerfilmfestivalmachern, denen in diesem Jahr auch Martin Wolkner angehörte. Der ist in sechs NRW-Städten durch seine monatliche „homochrom“-Filmreihe und das im Herbst in Köln und Dortmund stattfindende „Filmfest homochrom“ bekannt, und trat am Abend der Preisverleihung zum ersten Mal öffentlich als „Drag Queen“ auf. Sein Kleid und die passende Handtasche dazu hatte er am selben Tag erst in Berlin in einem Secondhand-Laden erstanden. Die Wahl der Siegerfilme innerhalb der Jury gestaltete sich laut Wolkner sehr unkompliziert und ohne komplett gegenteilige Meinungen. Nun hofft er, viele seiner neuen Entdeckungen bald auch den Kinobesuchern in NRW vorstellen zu können: „Es hängt jetzt ein bisschen davon ab, ob diese Filme einen Verleih bekommen oder nicht, oder ob sie auf anderen Festivals wie beispielsweise dem Frauenfilmfestival gezeigt werden. Ansonsten werde ich natürlich versuchen, sie ins ‚Filmfest homochrom’ zu bekommen“, so Martin Wolkner.

Gruppenbild der Teddy-Award-GewinnerInnen 2017
Text/Fotos: Frank Brenner

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Bären für NRW-Filme?
21. NRW-Empfang im Rahmen der 74. Berlinale – Foyer 02/24

Drei NRW-Filme im Berlinale-Wettbewerb
20. NRW-Empfang im Rahmen der 73. Berlinale – Foyer 02/23

Hochwertiges deutsches Filmschaffen
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik 2022 auf der Berlinale – Foyer 02/23

„Mit Greta ins Kino gehen“
Dieter Kosslick blickt in Autobiografie auf Berlinalen zurück – Interview 02/21

„Die Figuren funktionieren wie Geister“
Franz Rogowski über „Transit“, Berlinale-Trubel und Christian Petzold – Roter Teppich 04/18

Festival im Festival
Kinofest Lünen zeigt Gewinnerfilme auf Berlinale – Festival 02/17

„Eine wahnsinnige Kinolandschaft“
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik auf der Berlinale – Festival 02/17

Im Zeichen von Toni Erdmann
NRW-Empfang 2017 im Rahmen der Berlinale – Festival 02/17

NRW goes Berlinale
Filme mit NRW-Bezug laufen in Berlin – Vorspann 02/17

„Das Träumerische hat mich sehr gereizt“
Louis Hofmann über „Die Mitte der Welt“, seine schwule Figur und Online-Lehrer – Roter Teppich 11/16

Zeigen, was man verstanden hat
„Die Schwarze Flotte“ am Schauspiel Dortmund – Auftritt 11/16

„Coming Outs sind in der Pubertät am schwierigsten“
Jannis Niewöhner über „Jonathan“, Sexszenen und Landleben – Roter Teppich 10/16

Festival.

Hier erscheint die Aufforderung!